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Zum Thema Familienrecht
- Automatische Namensangleichung: Sechsjähriger muss sich formell einem Antrag auf Namensänderung anschließen
- Entführtes Kind: Keine Rückführung zum Vater ins Kriegsgebiet Ukraine
- Undokumentierte Vergleichsgrundlage: Vorsicht bei der Doppelfunktion von Renten bei Versorgungsausgleich und Unterhalt
- Unterhalt ab 2023: Düsseldorfer Tabelle aktualisiert
- der ersten Altersstufe (bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres) 312 EUR,
- der zweiten Altersstufe (bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres) 377 EUR,
- der dritten Altersstufe (vom 13. Lebensjahr bis zur Volljährigkeit) 463 EUR
- und für Volljährige im Haushalt eines Elternteils 378 EUR zu zahlen.
- 1.120 EUR beträgt nun der Mindestselbstbehalt gegenüber minderjährigen und privilegierten Kindern,
- 250 EUR Zuschlag gibt es für Erwerbstätigkeit sowie gegegenenfalls einen Wohnkostenzuschlag (enthalten sind 520 EUR Warmmiete),
- 1.385 EUR Mindestselbstbehalt hat man gegenüber seinem Ehegatten,
- 125 EUR Zuschlag gibt es für Erwerbstätigkeit sowie gegebenenfalls einen Wohnkostenzuschlag (enthalten sind 580 EUR Warmmiete),
- 1.650 EUR dürfen Eltern für sich behalten gegenüber Studenten (inklusive 650 EUR Warmwohnkosten).
- Versorgungsausgleich langjährig Versicherter: Auch Grundrentenzuschlag muss ausgeglichen werden
Wenn zwei Kinder dieselben Eltern haben, sollte man meinen, dass es keine großen Fragen zu ihren Nachnamen geben sollte. Weit gefehlt, wie der folgende Fall des Bundesgerichtshofs (BGH) beweist. Warum am Ende beide Geschwister unterschiedliche Nachnamen haben werden, lesen Sie hier.
Ein unverheiratetes Paar hat zwei Kinder, geboren 2014 und 2018. Das erste Kind hatte den Nachnamen der Mutter erhalten, die bei dessen Geburt allein sorgeberechtigt war. Das zweite Kind sollte den Nachnamen des Vaters bekommen. Dazu gingen die beiden direkt nach dessen Geburt zum Notar, vereinbarten dies sowie das gemeinsame Sorgerecht, das sie Jahre später auch für das ältere Kind beim Notar beurkundeten. Zur Namenswahl machten sie in diesem Dokument keine Angaben. Doch Anfang 2020 änderte das Standesamt den Geburtsnamen des ersten - inzwischen sechs Jahre alten - Kindes auch auf den Nachnamen des Vaters. Ausschlag gab der gesetzgeberische Wille, dass in der Regel alle Kinder eines Elternpaars zumindest bei gleichen Sorgerechtsverhältnissen den gleichen Geburtsnamen tragen sollen. Im Gesetz ist die Rede davon, dass eine solche Namenswahl auch die "weiteren" Kinder betrifft - wobei unklar ist, ob damit nur die "nachfolgend Geborenen" gemeint sein sollen oder auch ältere Geschwister, die bereits einen Nachnamen haben. Wie auch immer: So hatte die Mutter das nicht gewollt. Sie klagte dagegen an und bekam durch drei Instanzen bis zum BGH Recht. Zu diesem Zeitpunkt war das Kind acht Jahre alt und trug seit zwei Jahren offiziell den Nachnamen des Vaters.
Ob mit dem gesetzgeberischen Willen nur "nachfolgend Geborene" gemeint sein sollen oder auch ältere Geschwister, die bereits einen Nachnamen haben, war für die Urteilsfindung des BGH nicht ausschlaggebend. Es wird bei Kindern ab dem sechsten Geburtstag nämlich davon ausgegangen, dass eine Namensänderung ihnen nicht unwichtig ist. Das Kind lernt dann typischerweise, seinen vollständigen Namen zu schreiben, erhält Zeugnisse und Bescheinigungen mit Vor- und Familiennamen und identifiziert sich zunehmend nicht nur mit seinem Vornamen, sondern auch mit seinem Familiennamen. Deshalb müssen sich Kinder ab sechs Jahren formell einem Antrag auf Namensänderung anschließen. Dazu hätte das Kind aber durch beide sorgeberechtigte Eltern vertreten werden müssen, aber die Mutter hatte diese "automatische" Angleichung an das Geschwisterkind ja ausdrücklich nicht gewollt. Weil es also an der Zustimmung der Mutter - als Mitsorgeberechtigte - fehlte, wurde der Nachname des mittlerweile Achtjährigen wieder auf den der Mutter zurückgeändert.
Hinweis: Ab dem 14. Geburtstag haben Kinder auch ohne ihre Eltern ein Mitspracherecht bei Anträgen auf Namensänderung.
Quelle: BGH, Beschl. v. 21.09.2022 - XII ZB 504/21
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Der Ukrainekrieg hat längst auch die Familiengerichte erreicht. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) hatte sich mit dem Antrag eines ukrainischen Vaters zu befassen, der nicht damit einverstanden war, dass die Mutter im März 2022 mit dem Baby (geboren 2021) nach Deutschland geflohen war.
Die Familie hatte zusammen in Odessa gelebt, wo es zu Luftangriffen durch die russische Armee gekommen war. Die Eltern waren bei Fliegeralarm mit dem Kind in ein Auto geflüchtet und hatten die Nächte in einer Tiefgarage verbracht. Die Mutter nahm das Kind auf ihrer Flucht mit, der Vater durfte wegen der Generalmobilmachung der Ukraine nicht ausreisen. Er begehrte im Oktober 2022 im Eilverfahren die Rückführung nach dem Haager Übereinkommen betreffend internationale Kindesentführung (HKÜ). Nachdem das Amtsgericht (AG) das abgelehnt hatte, verlangte er vor dem OLG hilfsweise, dass das Kind in die Republik Moldau gebracht werden müsse. Er habe dort bereits eine Wohnung für Mutter und Kind angemietet.
Wie das AG bestätigte auch das OLG, dass es sich hierbei zwar um eine internationale Kindesentführung gehandelt habe, deren Rechtsfolge es im Grundsatz ist, dass das Kind in den Ausgangsstaat zurückgeführt werden müsse. Die internationalen Abkommen sehen eigentlich nicht vor, dass das Land, in dem das Kind sich befindet, eine Kindeswohlprüfung durchführt. Die steht nur dem Land zu, in dem das Kind bis zur Entführung gelebt habe. Mit dem Grundsatz "status quo ante" soll verhindert werden, dass der Entführer sich der Rechtsprechung eines Staates entziehen und im Zufluchtsstaat das Verfahren zwecks aufwendiger Kindeswohlprüfung verzögern kann.
Zugleich gibt es aber hier eine Härteklausel. Und die wandten beide Gerichte angesichts der Kriegsssituation an. Das Auswärtige Amt habe für das gesamte Land eine Reisewarnung ausgesprochen. Nach Auswertung der Nachrichtensituation sei nicht davon auszugehen, dass es in der Ukraine sichere Orte gebe. Das Kind könne durch eine Rückführung in Lebensgefahr geraten. Die Möglichkeit, das Kind in die Nähe des Vaters, nämlich in die Republik Moldau, zu bringen, scheiterte daran, dass das HKÜ so etwas nicht vorsieht, dort keine internationale Zuständigkeit für Sorgerechtsstreitigkeiten gegeben war und die Mutter zu diesem Kompromiss nicht bereit war.
Hinweis: Das OLG verhandelte mit dem Vater - der ja nicht ausreisen durfte - und dessen ukrainischem Rechtsanwalt per Videokonferenz. Die Corona-Situation hat die technischen Ausrüstungen der Gerichte und die Bereitschaft der Richter zu Videoverhandlungen vielerorts beschleunigt.
Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.10.2022 - 17 UF 186/22
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Wenn bei einer Scheidung beide Eheleute erwerbsunfähig sind und einer von beiden Leistungen aus einer privaten Invaliditätsvorsorge (Berufsunfähigkeits(BU)-Versicherung oder Unfallversicherung) bezieht, spielen diese Zahlungen eine Doppelrolle: Zum einen stellen sie Lohnersatzeinkünfte dar, die in der Unterhaltsberechnung auftauchen, zum anderen sind solche privaten Renten beim Versorgungsausgleich zu teilen. Im Folgenden musste der Bundesgerichtshof (BGH) eine getroffene Einigung auf Billigkeitsvorschriften prüfen.
Hier hatten sich die Eheleute über den Unterhalt schon vergleichsweise geeinigt. Doch der Unterhaltsvergleich ließ in den Augen der Familienrichter nicht erkennen, welche Rolle die BU-Rente rechnerisch gespielt hatte. Es waren nämlich neben dem Unterhalt auch noch Haus sowie Zugewinn in ein Gesamtpaket gepackt und verrechnet worden. Da auch die Eheleute den Überblick verloren hatten und im Nachhinein folglich auch völlig widersprüchliche Vorstellungen dazu hatten, was die Basis ihrer Einigung gewesen war, teilte der Amtsrichter die BU-Rente im Versorgungsausgleich hälftig.
Das genügte den Ansprüchen des BGH jedoch nicht - er gab die Sache zurück, um Billigkeitsvorschriften beim Versorgungsausgleich zu prüfen. Denn ein Versorgungsausgleich findet nicht statt, sobald er grob unbillig wäre. Und genau das ist der Fall, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der hälftigen Teilung abzuweichen. Dies kommt nach der Rechtsprechung des Senats insbesondere dann in Betracht, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte an dem im Versorgungsausgleich auszugleichenden Anrecht bereits auf andere Weise partizipiert hat. Das konnte der BGH nach Aktenlage aber nicht selbst aufklären und wies die Sache an das zuständige Oberlandesgericht zurück.
Hinweis: Es gibt gute Gründe dafür, zu jeder Vereinbarung auch zu dokumentieren, was deren exakte Grundlagen waren.
Quelle: BGH, Beschl. v. 10.08.2022 - XII ZB 83/20
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Ab Januar 2023 gilt eine neue Düsseldorfer Tabelle für den Unterhalt minderjähriger Kinder. Die Zahlbeträge haben sich um monatlich 25 EUR und mehr (je nach Alter und Einkommensgruppe) erhöht, gleichzeitig hat sich auch das Kindergeld (das in dem Haushalt verbleibt, in dem das Kind wohnt) auf monatlich 250 EUR erhöht.
In Fällen, in denen der Unterhalt dynamisch tituliert ist (durch Jugendamtsurkunde, Notarvertrag, Gerichtsbeschluss), muss der Unterhaltspflichtige die Erhöhung selbst recherchieren - beispielsweise auf der Website des Oberlandesgerichts (OLG) - und unaufgefordert den korrekten Betrag überweisen.
Wenn ledigich der sogenannte Mindestunterhalt gezahlt werden muss, sind für Kinder
Auch für die älteren Kinder wurden die Bedarfssätze angepasst. Studenten und anderen Volljährigen außer Haus wird ab 2023 ein Bedarf von 930 EUR (inkl. 410 EUR Warmwohnkosten) zugesprochen. Wenn sich nach der Lebensstellung der Eltern ein höherer Bedarf ermittelt, kann davon nach oben abgewichen werden. Krankenversicherungskosten und Studiengebühren kommen ebenso hinzu wie ein eventuell konkreter Wohnkostenzuschlag. Auf den Zahlbetrag sind die 250 EUR Kindergeld anzurechnen, die der kindergeldberechtigte Elternteil weiterleiten muss. Den Restbedarf teilen die Eltern im Verhältnis ihrer Einkünfte.
Für Unterhaltspflichtige, bei denen die Situation insgesamt knapp ist, gibt es 2023 Entlastung.
Bei Ansprüchen auf Elternunterhalt ist mit Rücksicht auf die Regelungen des Angehörigenentlastungsgesetzes schon seit 2021 - und somit auch wieder 2023 - von der Angabe eines konkreten Betrags für den Selbstbehalt abgesehen worden. Bis Ende 2022 gibt es dazu noch keine veröffentlichten Gerichtsentscheidungen, und damit besteht weiterhin eine große Unsicherheit bei der korrekten Berechnung.
Hinweis: Die Tabelle hat keine Gesetzeskraft, sondern stellt eine Richtlinie dar. Sie ist nur ein Hilfsmittel, das Raum für eigene Beurteilungen und Angemessenheitskontrolle hat. Das wird in der außergerichtlichen Praxis oft nicht wichtig genug genommen. Relevant bei der Anwendung sind außerdem die Leitlinien des OLG, in dessen Bezirk das Kind wohnt. Insbesondere stößt die Trennung von Bar- und Betreuungsunterhalt in Familien mit erweitertem Umgang oder gar im Wechselmodell an Grenzen. Es lässt sich nicht übersehen, dass der Tabelle ein Familienbild der 70er-/80er-Jahre zugrunde liegt (die erste Düsseldorfer Tabelle stammt aus dem Jahr 1979) - der Reformbedarf ist bekannt.
Quelle: OLG Düsseldorf v. 04.12.2022
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 01/2023)
Neu beim scheidungsbedingten Versorgungsausgleich ist der Grundrentenzuschlag, der eine Erhöhung der Rente für langjährig Versicherte mit geringem Erwerbseinkommen nach 33 Jahren Beitragszahlung vorsieht. Er wird gesondert ermittelt und entsprechend separat geteilt. Ob man aus diesem Zuschlag später Rentenleistungen erhalten wird, hängt von Faktoren ab, die der Richter zum Scheidungszeitpunkt meist nicht kennen kann - beispielsweise von den Einkommensverhältnissen im Rentenalter. Dieser offenen Fragestellungen musste sich kürzlich das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) annehmen.
Eine Ehefrau wehrte sich dagegen, dass sie bei der Scheidung Punkte von ihrem Grundrentenzuschlag abgeben sollte. Sie meinte, es sei bereits jetzt absehbar, dass dem Ehemann diese Punkte gar nichts nützen werden, weil er anderweitig genug Einkommen habe, das auf diesen Teil der Rente angerechnet werde. Sie machte daher die Unwirtschaftlichkeit geltend.
Zu einer solchen Prognose sahen sich die Richter des OLG nicht in der Lage und übertrugen die Rentenpunkte der Frau an den Mann. Es sei nicht ermittelbar, wie hoch die Einkünfte des Mannes im Alter sein würden. Bis zum jetzigen Zeitpunkt überschreite er die maßgeblichen Anrechnungsgrenzen jedenfalls noch nicht.
Hinweis: Bei Geringfügigkeit unterbleibt im Übrigen der Ausgleich. Die Geringfügigkeitsgrenzen werden jährlich neu festgelegt und lagen 2022 bei 3.948 EUR Kapital oder 32,90 EUR Monatsrente (West).
Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 15.11.2022 - 7 UF 193/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 01/2023)
Zum Thema Mietrecht
- Kein wichtiger Grund: Vergütungsanspruch rechtswidrig gekündigter Verwalterin bestätigt
- Mieterhöhungsbegehren: Ermittlung der Vergleichsmiete durch Sachverständigen birgt Risiken für beide Streitparteien
- Schadensersatz nach Wassereinbruch: Wer vom Nachbarn verschuldete Schäden selbst repariert, kann fiktive Kosten geltend machen
- Selbstbeteilungungsumlage in der WEG: Nur Unbilligkeit kann Anspruch auf Änderung des maßgeblichen Verteilungsschlüssels begründen
- Sonderkündigungsrecht bei Umsatzunterschreitung: Wurden keine Einschränkungen vereinbart, ist die pandemiebedingte Kündigung rechtens
Die Vertragskündigung mit einem Wohnungseigentumsverwalter ist natürlich möglich. Dass auch dabei selbstverständlich Regeln eingehalten werden müssen, zeigt der folgende Fall, der vor dem Landgericht Köln (LG) landete.
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) hatte eine Verwalterin bestellt. Die monatliche Grundvergütung sollte etwas über 700 EUR betragen. Nach knapp einjähriger Tätigkeit der Verwalterin beschloss die WEG in der Versammlung mehrheitlich, dass der Verwaltungsbeirat mit der vorzeitigen Kündigung des Verwaltervertrags beauftragt wird. Die Verwalterin ließ sich die Kündigung jedoch nicht gefallen, bot ihre Leistungen weiterhin an und verlangte bis zum Ablauf der regulären Vertragslaufzeit eine Verwaltervergütung von etwas über 21.000 EUR. Aus ihrer Sicht habe kein Recht zu einer fristlosen Kündigung bestanden.
Auch nach Ansicht des LG stand der ehemaligen Verwalterin ein Vergütungsanspruch in Höhe von knapp 11.000 EUR zu. Der Grund: Der Verwaltervertrag war nicht vorzeitig beendet worden. Denn es bestand kein Recht für eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund. Die ehemalige Verwalterin musste sich allerdings ersparte Aufwendungen anrechnen lassen. Dabei war zu berücksichtigen, ob die Verwalterin durch den Wegfall des Objekts in der Lage war, fixe Kosten und insbesondere Personal einzusparen. Ist dies nicht der Fall, wird von der Rechtsprechung eine pauschale Ersparnis der variablen Kosten von 20 % angenommen. Dass Einsparungen bei den fixen Kosten sowie den Personalkosten in einem größeren Umfang als 20 % angefallen waren, konnte mangels eines konkreten Vortrags nicht festgestellt werden.
Hinweis: Wird einem Wohnungseigentumsverwalter gekündigt, geht das nur nach feststehenden Regeln. Insbesondere die Kündigungsfrist ist einzuhalten. Mit der Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes zum 01.12.2020 kann der Verwalter jederzeit abberufen werden, und der Vertrag endet dann spätestens sechs Monate nach dessen Abberufung.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 09.06.2022 - 29 S 151/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 01/2023)
Die übliche Begründung von Mieterhöhungen ist die Angabe von Vergleichsmieten. Wie diese ermittelt werden können, wenn sich Vermieter und Mieter uneins sind, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Hamburg (AG). Und dessen Urteil hat es in sich, was künftige Mietrechtsfälle angehen kann.
Ein Vermieter wollte die Miete erhöhen und begründete sein Erhöhungsverlangen mit vier Vergleichswohnungen. Er verlangte die Zustimmung zur Mieterhöhung von der Mieterin, die diese verweigerte. Deshalb zog der Vermieter vor das Gericht.
Das AG hat ein schriftliches Sachverständigengutachten sowie ein Ergänzungsgutachten eingeholt und dann die Mieterhöhung bestätigt. Das Gericht stützte seine Überzeugung auf das gerichtliche Sachverständigengutachten. Der Gutachter hatte die Wohnung nach Inaugenscheinnahme anhand der Wohnwertmerkmale Lage, Art, Beschaffenheit, Ausstattung und Größe einer typisierend gewichteten Nutzwertanalyse unterzogen. Das Gutachten war nachvollziehbar und in objektivierbarer Weise erfolgt.
Hinweis: Ein Gutachten ist nur dann einzuholen, wenn die Mieten für vergleichbare Wohnungen empirisch nicht ausreichend zu ermitteln sind. Es steht zu befürchten, dass von Gerichten bei Mieterhöhungsverlangen nun häufiger Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben werden - sowohl für Vermieter als auch für Mieter ein erhebliches finanzielles Risiko.
Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 29.07.2022 - 48 C 277/20
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 01/2023)
Wer Wasser von seinem Grundstück abpumpt, sollte besser aufpassen, wohin es fließt. Andernfalls kann es teuer werden, wie der folgende Fall des Oberlandesgerichts Oldenburg (OLG) beweist. Besonders interessant ist hierbei die fiktive Abrechnung, wie man sie sonst aus der Regulierung von Kfz-Schäden kennt.
Ein Mann hatte sein geerbtes Elternhaus sanieren lassen. Dabei wurde aus dem Keller Wasser nach draußen gepumpt. Der Mann ging dabei davon aus, dass keine Ableitung in die Kanalisation erforderlich sei, weil das Wasser auf seinem Grundstück versickern würde. Diesen Gefallen tat ihm das Wasser jedoch nicht; es lief über einen Lichtschacht in den Keller des Nachbarn und verursachte dort Schäden an Wänden und Fußböden, die der Nachbar selbst behob. Der Schaden belief sich nach Kostenvoranschlägen von Fachfirmen auf knapp 7.000 EUR. Diesen Betrag wollte der Geschädigte von seinem Nachbarn erhalten.
Die OLG-Richter gaben der Klage statt. Zwar sei der Lichtschacht des Geschädigten teilweise nicht in Ordnung gewesen - dies hatte aber nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht zu dem Schaden beigetragen. Das Wasser wäre ansonsten über das Kellerfenster eingedrungen. Außerdem konnte der Mann auch die fiktiven Kosten einer Fachfirma vom Nachbarn ersetzt verlangen. Schließlich soll ein Schädiger nicht davon profitieren, wenn ein Geschädigter den ihm entstandenen Schaden selbst beseitigt.
Hinweis: Es ist sehr interessant, dass die Nachbarn tatsächlich die sogenannten fiktiven Kosten einer Fachfirma ersetzt erhalten haben, obwohl sie den Schaden selbst beseitigt hatten. Ein guter Schachzug, der natürlich auch bei anderen Schäden zur Anwendung kommt.
Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 08.07.2022 - 6 U 328/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 01/2023)
Gebäudeschäden, die von einer Versicherung übernommen werden, kosten eine Wohnungseigentumsgemeinschaft (WEG) nichts. Was aber gilt, wenn es eine Selbstbeteiligung gibt, und wie diese auf die einzelnen Eigentümer umgelegt wird, zeigt dieser Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.
Bei einer WEG mit mehreren Wohnungen und einer gewerblichen Einheit war es in der Vergangenheit aufgrund mangelhafter Leitungen häufiger zu Wasserschäden in Wohnungen gekommen. Deshalb ging die WEG auch gegen das Unternehmen, das die Leitungen verlegt hatte, gerichtlich vor. Nach der Vielzahl von Schäden, bei denen der Selbstbehalt in jedem Schadenfall inzwischen 7.500 EUR betrug, erstattete die Versicherung nur noch 25 % der Schäden. Die Verwalterin legte die Kosten nach Miteigentumsanteilen um - und zwar auch dann, wenn die Schäden im Bereich des Sondereigentums (also innerhalb der Wohnungen) entstanden waren. Das wollten sich die Eigentümer der gewerblichen Einheit nicht länger gefallen lassen, da die Schäden bislang ausschließlich im Sondereigentum entstanden waren - und eben in ihrer gewerblichen Einheit noch kein Schaden aufgetreten war.
Diese an und für sich schlüssig erscheinende Argumentation ging beim BGH jedoch nicht durch. Denn bei einem Leitungswasserschaden, der im räumlichen Bereich des Sondereigentums eingetreten ist, sei der im Gebäudeversicherungsvertrag vereinbarte Selbstbehalt von allen Wohnungseigentümern gemeinschaftlich zu tragen. Ein Anspruch eines einzelnen Wohnungseigentümers auf Änderung des maßgeblichen Verteilungsschlüssels ist für die Zukunft nur dann gegeben, wenn ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unbillig erscheint. Diese Überlegungen führten dazu, dass in der Zukunft der Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der Wohneinheiten allein von den Eigentümern der Wohneinheiten getragen wird. Entsteht jedoch dann ein Schaden am Sondereigentum der gewerblichen Einheit, muss deren Eigentümer dementsprechend auch alleine für den Schaden aufkommen.
Hinweis: Was einmal in der Teilungserklärung der Wohnungseigentümergemeinschaft festgelegt ist, kann nur schwer wieder geändert werden. Das sollte beim Kauf einer Eigentumswohnung beachtet werden.
Quelle: BGH, Urt. v. 16.09.2022 - V ZR 69/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 01/2023)
Während sich Mieter von Wohnraum auf eine Vielzahl mieterfreundliche Gesetze stützen dürfen, steht Gewerberaummietern immerhin das sogenannte Sonderkündigungsrecht zu. Ein solches war für die Beklagte im Zuge der Pandemie scheinbar der Rettungsanker. Das Oberlandesgericht Hamm war mit der Frage betraut, ob zu Recht oder eben nicht.
Eine gewerbliche Ladenfläche in einem Einkaufszentrum war für zehn Jahre vermietet worden. Dabei war auch vereinbart worden, dass die Mieterin ein Sonderkündigungsrecht bei Nichterreichen eines Umsatzes von 600.000 EUR netto im Jahr hatte. Ein notwendiger Grund für den Umsatzrückgang oder aber diesbezügliche Einschränkungen waren im Vertrag nicht festgelegt. Dann kam die Corona-Pandemie. Die Mieterin musste für einen Monat den Betrieb schließen und zahlte auch nur 50 % der Miete. Schließlich machte sie von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch, da sich nur ein Gesamtumsatz im Jahr 2020 in Höhe von knapp 540.000 EUR ergeben hatte. Die Vermieterin wollte die Kündigung nicht akzeptieren und klagte - ohne Erfolg.
Räumt der Vermieter dem Mieter in einem gewerblichen Mietvertrag ein Sonderkündigungsrecht bei Nichterreichen einer bestimmten Umsatzhöhe in einem bestimmten Mietjahr ein, berechtigt dies den Mieter auch zur Kündigung. Das gilt jedenfalls dann, wenn keine Einschränkungen hinsichtlich des Grunds des Nichterreichens des Umsatzes verabredet wurden. Also ist die letztendlich pandemiebedingte Kündigung rechtmäßig gewesen.
Hinweis: Ob ein Sonderkündigungsrecht besteht, verrät ein Blick in den Mietvertrag. Stets sollte daran gedacht werden, dass Kündigungen im Mietrecht ohnehin nur schriftlich möglich sind.
Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 15.07.2022 - 30 U 82/22
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Zum Thema Verkehrsrecht
- 174 Verkehrsordnungswidrigkeiten: Entzug der Fahrerlaubnis auch nach Bagatellverstößen möglich
- 200 EUR statt 320 EUR: Bußgeldreduzierung wegen beengter Wirtschaftsverhältnisse und gestiegener Energiekosten
- Haftungsprivilegierung: Auto überfährt Hund, verletzter Hund beißt zu: Wer haftet?
- Sonderfall im Bußgeldkatalog? Fahrzeugklasse "SUV" lässt keinen allgemeinen Rückschluss auf höhere Gefährdungslage zu
- Teure Sturheit: Mehr als 9.000 EUR Strafe für fortgesetztes Parken vor Nachbars Einfahrt
Bagatellen sind nur als solche anzusehen, wenn sie selten und vereinzelt auftauchen. Häufen sich Kleinigkeiten, kann aus deren Summe ganz schnell etwas Großes werden - so auch für scheinbar leidenschaftliche Parkverstoßer, wie das folgende Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin (VG) zeigt. Denn wer nicht willens scheint, sich an einfache Regeln des verkehrsrechtlichen Miteinanders zu halten, muss zu Recht seine Kraftfahreignung in Zweifel ziehen lassen.
Der Kläger war seit 1995 Inhaber einer Fahrerlaubnis. Im Juli 2021 erfuhr das Landesamt, dass gegen den Kläger innerhalb eines Jahres 174 Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren geführt worden waren - darunter 159 Parkverstöße und 15 Geschwindigkeitsüberschreitungen. Nach Anhörung des Manns entzog die Behörde ihm daher die Fahrerlaubnis aufgrund fehlender Kraftfahreignung. Hiergegen wandte der Kläger ein, die Verstöße mit den drei auf ihn zugelassenen Fahrzeugen hätten andere Personen begangen. Gegen die Entscheidungen habe er lediglich keine Rechtsmittel eingelegt, um der Behörde Arbeit zu ersparen.
Diese plötzliche Rücksichtnahme konnte das VG dennoch nicht daran hindern, die Klage abzuweisen. Zu Recht ist die Behörde von einer mangelnden Fahreignung des Klägers ausgegangen. Zwar hätten dem Bagatellbereich zuzurechnende Verkehrsordnungswidrigkeiten bei der Prüfung der Fahreignung grundsätzlich außer Betracht zu bleiben - anders ist dies aber, wenn ein Kraftfahrer offensichtlich nicht willens ist, im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffene bloße Ordnungsvorschriften zu beachten. Hier begründet bereits die Anzahl der - für sich genommen unbedeutenden - Verstöße, die nahezu ausnahmslos im Wohnumfeld begangen worden seien, Zweifel an der Eignung des Klägers.
Hinweis: Es kommt auch nicht darauf an, ob möglicherweise andere Familienangehörige für die Verstöße verantwortlich waren. Denn derjenige, der durch zahlreiche ihm zugehende Bußgeldbescheide erfährt, dass Personen, die sein Fahrzeug benutzten, laufend gegen Verkehrsvorschriften verstoßen, und dagegen nichts unternimmt, zeigt hierdurch charakterliche Mängel, die ihn selbst als einen ungeeigneten Verkehrsteilnehmer ausweisen.
Quelle: VG Berlin, Urt. v. 28.10.2022 - VG 4 K 456/21
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Der folgende Fall, den das Amtsgericht Dortmund (AG) zu behandeln hatte, zeigt, dass Gerichte bei ihrer Urteilsfindung einen gewissen Spielraum haben. Strafe muss zwar schmerzen - sonst wäre sie ja keine -, sie sollte aber keine unverhältnismäßigen Konsequenzen nach sich ziehen. Um das Fahrverbot kam die betagte Verkehrssünderin dennoch nicht herum, doch lesen Sie selbst.
Eine Rentnerin fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit und wurde geblitzt. Sie überschritt hierbei die zugelassene Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um ganze 46 Stundenkilometer. Daher erging ein Bußgeldbescheid über 320 EUR sowie über zwei Punkte und einen Monat Fahrverbot. Die Betroffene bezweifelte jedoch die Richtigkeit der Beschilderung und legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein.
Das AG konnte die Richtigkeit der Beschilderung feststellen und verurteilte die Betroffene zu einer reduzierten Geldbuße von 200 EUR. Vom Fahrverbot wurde dabei nicht abgesehen, da das eine Verdoppelung der Geldbuße bedeutet hätte. Auch für einen sogenannten Härtefall gab es hier keinen Anhaltspunkt - das AG führte zum Thema Fahrverbot aus: "Rentner*innen sind ebenso wie etwa Arbeitslose und natürlich auch Beamt*innen grundsätzlich in keinster Weise auf die Existenz einer Fahrerlaubnis zwingend angewiesen." Bezüglich der Geldbuße urteilte das Gericht: "Angesichts der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse (800 EUR Rente) und von der Betroffenen dargestellter erheblicher Erhöhungen der derzeitigen Lebenshaltungskosten, insbesondere der Energiekosten, hat das Gericht die Geldbuße auf 200,- EUR abgesenkt."
Hinweis: § 17 Abs. 3 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten regelt, dass die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf Grundlage für die Zumessung der Geldbuße sind, die den Täter trifft. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters sind zu berücksichtigen. Das Gericht durfte also die Geldbuße im Hinblick auf die beengten wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen reduzieren.
Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 11.10.2022 - 729 OWi-262 Js 1751/22-110/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 01/2023)
Die zeitlich exakte Abfolge ist vor Gericht oft entscheidend, wenn es darum geht, aufgrund kausaler Zusammenhänge das Geschehene zu bewerten. Genau das war die Aufgabe des Oberlandesgerichts Celle (OLG). Dabei ging es darum, wessen Haftung greift: Die des unfallverursachenden Fahrzeugführers oder die des daraufhin vom eigenen Hund verletzten Tierhalters?
Zwei befreundete Jäger verabredeten sich im Wald, um Holz für einen Hochsitz abzuladen. Der eine Jäger fuhr zu diesem Zweck mit seinem mit Holz beladenen Geländewagen an den geplanten Hochsitzstandort in den Wald. Dort wartete bereits der zweite Jäger mit seinem angeleinten Rauhaardackel. Beim Umsetzen seines Fahrzeugs überfuhr der Geländewagenfahrer den an einer langen Leine geführten Dackel. Dessen Herrchen eilte herbei und hob seinen Dackel auf - in der traurigen Erwartung, dass dieser tot sei. Doch dann biss der Dackel zu, und sein Halter erlitt infolgedessen erhebliche Verletzungen am Handgelenk. Seine Krankenversicherung forderte schließlich die Erstattung der Behandlungskosten von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers. Ihrer Ansicht nach war der Unfall ursächlich für die Verletzung. Das sah die Versicherung anders: Es habe sich die tiertypische Gefahr verwirklicht, die dem vorherigen Unfall nicht zuzurechnen sei.
Das OLG gab der Krankenversicherung dennoch recht. Nach Ansicht des Gerichts hat sich der Unfall "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" ereignet. Der Biss stehe in einem nahen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem vorhergehenden Überfahren des Tiers. Der Hund habe sein Herrchen nicht anlasslos gebissen, sondern aufgrund des zuvor geschehenen Unfallereignisses. In dieser Ausnahmesituation habe der Hund schockbedingt nicht mehr zwischen freundlicher und feindlicher Handlung unterscheiden können. Der Hundehalter habe auch nicht damit rechnen müssen, gebissen zu werden, da er den Hund für tot hielt. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei es nicht unwahrscheinlich, dass ein kleiner Rauhaardackel nicht überlebt, wenn er von einem tonnenschweren Fahrzeug überrollt wird.
Hinweis: Die Richter mussten im zu entscheidenden Fall eine Abwägung der "Gefahren" vorzunehmen. Zum einen war die von dem Geländewagen ausgehende Betriebsgefahr zu berücksichtigen - auf der anderen Seite die vom Dackel ausgehende Tiergefahr. Diese kann allerdings in der Abwägung als erhöht angesehen werden, wenn dem Hundehalter ein Verschulden nachzuweisen ist. In der Abwägung hat das OLG die Betriebsgefahr des Kfz höher bewertet als die Tiergefahr, weil das Kfz die erste Ursache mit dem Unfall gesetzt hat und der Hundebiss sich als Reaktion darauf darstellt. Ein Verschulden des Hundehalters war nicht erkennbar.
Quelle: OLG Celle, Urt. v. 05.10.2022 - 14 U 19/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 01/2023)
Das gute "Sport Utility Vehicle" - kurz SUV - spaltet die Gesellschaft wie kaum eine vorige Bauklasse unter den Kraftfahrzeugen. Entsprechend groß war das Interesse an einem Fall, den auch wir in der Vorinstanz bereits in unserer Septemberausgabe 2022 behandelt hatten: Dort hatte das Amtsgericht Frankfurt am Main (AG) den Betroffenen wegen eines Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt und dabei die vom Bußgeldkatalog vorgesehene Regelbuße von 200 EUR auf 350 EUR erhöht. Nun war das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit dem Fall in zweiter Instanz befasst.
Zur Begründung hatte das AG unter anderem auf die größere abstrakte Gefährdung durch das geführte Kraftfahrzeug verwiesen. Die kastenförmige Bauweise und die hohe Frontpartie erhöhten bei einem SUV das Verletzungsrisiko für andere Verkehrsteilnehmer. Doch eben diese sehr allgemein gehaltene Argumentation war hier der Knackpunkt. Die Rechtsbeschwerde gegen die den Regelsatz übersteigende Geldbuße in Höhe von 350 EUR sowie das verhängte einmonatige Fahrverbot hatte im Ergebnis vor dem OLG zwar keinen Erfolg, da der Betroffene hier nicht zum ersten Mal auffällig wurde - nach den Ausführungen des Senats rechtfertigt allerdings die vom AG vorgenommene Argumentation keine Erhöhung der Regelbuße.
Der Bußgeldkatalog dient der gleichmäßigen Behandlung sehr häufig vorkommender, wesentlich gleich gelagerter Sachverhalte. Er soll eine Schematisierung herbeiführen, so dass grundsätzlich besondere Umstände des Einzelfalls zurücktreten. Nur ein deutliches Abweichen vom Normalfall rechtfertige deshalb eine Abweichung vom Bußgeldkatalog. Die Feststellung solcher außergewöhnlichen Umstände bedarf einer über die Benennung eines diffusen Fahrzeugtyps oder Modells hinausgehenden Betrachtung des Einzelfalls. Da die Gruppe der SUV sehr heterogen ist, erscheint zudem ein Schluss von der Gruppenzugehörigkeit auf gefahrrelevante Umstände nicht möglich. Schließlich ist die vom AG angenommene erhöhte Verletzungsgefahr nicht allgemeinkundig, sondern Gegenstand von Untersuchungen mit diametralen Ergebnissen.
Hinweis: Die Regelbuße beziehe sich auf einen nicht vorgeahndeten Betroffenen. Daher war hier die verhängte Geldbuße im Ergebnis gerechtfertigt - und zwar wegen der gravierenden Vorbelastung des Betroffenen.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.09.2022 - 3 Ss-OWi 1048/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 01/2023)
Der folgende Fall ist ein Beispiel für die alte Weise "Wer nicht hören will, muss fühlen". Was den Beklagten hier zu seinem Verhalten trieb, blieb zumindest gerichtlich ein Rätsel. Da es hierbei aber nicht um seine Motivation ging, sondern um das Ahnden einer zuvor durch gerichtlichen Vergleich angedrohten Konsequenz, war die Urteilsfindung durch das Oberlandesgericht Dresden (OLG) recht schlüssig.
Einmal mehr standen sich in diesem Fall zwei Nachbarn im Streit gegenüber. Der eine parkte sein Fahrzeug häufig vor der Einfahrt des anderen, beide wohnten in einer recht schmalen Straße gegenüber, beide Grundstücke verfügten über eine Einfahrt. Die Tatsache, dass sich der eine Nachbar häufig vor die Einfahrt des anderen stellte, führte zu einem Streit, der durch einen gerichtlichen Vergleich zunächst beendet wurde. Dem einen Nachbarn wurde gestattet, sein Auto täglich bis zu fünfmal für maximal zehn Minuten auf der Straße vor der Grundstückseinfahrt des anderen Nachbarn abzustellen. Bei einem längeren Zeitraum wurde eine Vertragsstrafe in Höhe von 150 EUR pro Verstoß fällig. Es kam, wie es kommen musste, um hier darüber zu berichten: Der Falschparker war durch den Vergleich wenig beeindruckt und setzte sein bisheriges Parkverhalten fort. Diese Verstöße dokumentierte der Betroffene und kam auf 83 Verstöße. Da sich der Nachbar weigerte zu zahlen, klagte der Nachbar das Geld ein.
Das OLG verurteilte den Falschparker konsequenterweise zu einer Vertragsstrafe von 9.300 EUR. Acht Verstöße sah das Gericht dabei nicht als erwiesen an, für den Rest musste der Nachbar zahlen.
Hinweis: Weshalb der betagte Beklagte sein Parkverhalten trotz guten Zuredens durch das Gericht nicht änderte und es vorzog, in regelmäßigen Abständen zu hohen Vertragsstrafen verurteilt zu werden, weiß wohl niemand außer ihm selbst.
Quelle: OLG Dresden, Urt. v. 18.10.2022 - 6 U 580/22
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Zum Thema Sonstiges
- Ausgeglichene CO2-Bilanz: Wann ein Produkt mit der Aussage "klimaneutral" beworben werden darf
- Betreiber bedauert Hygienekonzept: Wer im Hotel die Nichteinhaltung der Corona-Regeln befürchten muss, darf kostenlos stornieren
- Nachträgliche Belastungsstörung: Fluggesellschaft muss für nachweisbare Beeinträchtigung der psychischen Integrität aufkommen
- Online-Verleumdung: Links zu falschen Darstellungen müssen auch gelöscht werden
- Reise in der Pandemie: Kein Wettbewerbsverstoß, wenn kommunikativ auf Gutscheinoption statt auf Stornierung gesetzt wird
Die Verbraucher werden sensibler, was ihren Konsum hinsichtlich ihres sogenannten CO2-Fußabdrucks angeht. Dass Werbeaussagen zur Umweltverträglichkeit daher genau unter die Lupe genommen werden müssen, versteht sich von selbst. Genau mit dieser Aufgabe war das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) auf Betreiben eines Mitbewerbers des hier beklagten Unternehmens befasst.
Ein Unternehmen vertrieb verschiedene Markenhaushalts- und Hygieneartikel unter einer Eigenmarke, darunter auch Müllbeutel. Die hier relevanten Müllbeutel wurden mit dem Hinweis "klimaneutral" beworben. Ein Wettbewerber war damit nicht einverstanden und hielt die Werbung für unlauter. Nachdem eine Abmahnung nichts brachte, wurde eine Klage erhoben mit dem Antrag, die Werbung für Müllbeutel mit der Angabe "klimaneutral" zu untersagen - das jedoch vergeblich.
Die Werbeaussage "klimaneutral" für eine Ware sei in Augen des OLG nicht per se irreführend. Diese auf einem Müllbeutel aufgedruckte Werbeaussage lässt auch nicht etwa darauf schließen, dass das herstellende Unternehmen ausschließlich klimaneutrale Ware produziere. Anders als der unscharfe Begriff der "Umweltfreundlichkeit" enthält der Begriff der Klimaneutralität eine eindeutige Aussage - und zwar die Erklärung, dass die damit beworbene Ware eine ausgeglichene CO2-Bilanz aufweist. Die Angabe "klimaneutral" müsse hingegen nicht bedeuten, dass die ausgeglichene Bilanz durch gänzliche Emissionsvermeidung bei der Produktion erreicht werde.
Hinweis: Ob ein Produkt wirklich klimaneutral ist oder nicht, lässt sich für Verbraucher oftmals nicht nachvollziehen. Nur der Glaube an die Hersteller reicht vielen nicht aus, Alternativen sind jedoch häufig nicht sichtbar.
Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 30.06.2022 - 6 U 46/21
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Als nach den ersten harten Corona-Maßnahmen das Reisen unter bestimmten Bedingungen wieder möglich schien, hofften viele auf die dringend nötige Erholung - auch der Kläger im folgenden Fall, mit dem das Amtsgericht Schmallenberg (AG) befasst wurde. Denn hier schlug die Hoffnung des Mannes und seiner Familie schnell in Entäuschung um - der Hotelbetreiber zeigte Verständnis für Impfgegner. Ob daraufhin die Reisestornierung möglich war, lesen Sie hier.
Ein Mann hatte für sich und seine Familie im Januar 2022 in einem Familienhotel für vier Tage ein Dreiraumappartement zum Tarif "All-Inclusive-Premium" für 2.120 EUR gebucht. Zwei Wochen vor Reisebeginn erhielt er ein E-Mail-Rundschreiben des Hotels. Darin stand neben Weihnachtswünschen auch das folgende Statement zum von einer Behörde abgenommenen Hygienekonzept: "... Wir werden seit Wochen per Verordnung dazu gedrängt, Menschen auszugrenzen; denn es gelte 2G für Privatreisende und 3G bei Geschäftsreisen. Das fällt uns schwer. Und wir haben gleichzeitig Verständnis für Menschen, die sich die Injektionen aus unterschiedlichen Gründen nicht verabreichen lassen wollen ...." Unmittelbar nach Erhalt dieses Rundschreibens stornierte der Mann seine Buchung, da er nach dem Rundschreiben und einer Recherche im Internet befürchtete, dass in dem Hotel die Corona-Regeln nicht eingehalten würden.
Schließlich klagte er mit Erfolg auf Rückzahlung der bereits angezahlten 1.060 EUR. Das AG meinte nämlich, dass ein Hotelier, der den Rechtsschein setzt, dass er die Corona-Schutzverordnung nicht nur ablehne, sondern auch zu umgehen versuche, mit Stornierungen rechnen muss. Es ist einem Gast, der die Corona-Pandemie offenkundig ernst nimmt, schlicht nicht mehr zuzumuten, mit seiner Familie in einem solchen Hotel zu übernachten und Urlaub zu machen. Der Mann konnte somit die komplette Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung verlangen.
Hinweis: Es war für das Gericht völlig unerheblich, ob das Hotel tatsächlich gegen Bestimmungen der Corona-Schutzverordnung verstoßen habe oder nicht. Allein die Äußerungen reichten, um ernsthafte Befürchtungen zu hegen, dass gegen die Hygienevorschriften verstoßen werde.
Quelle: AG Schmallenberg, Urt. v. 29.06.2022 - 3 C 32/22
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Dass es trotz aller Sicherheitsvorkehrungen in der Luftfahrt zu beängstigenden Vorfällen kommen kann, ist nicht auszuschließen. Ob eine Fluggesellschaft für psychische Folgen nach einer Notfallevakuierung aufkommen muss, musste als Grundsatzfrage zuerst vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklärt werden, damit der Einzelfall in Österreich behandelt werden konnte.
Eine Flugpassagierin hatte nach einer Notfallevakuierung eines Flugzeugs eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erlitten und verklagte daraufhin die österreichische Fluggesellschaft auf Schadensersatz. Die Klägerin hatte das Flugzeug über den Notausstieg verlassen müssen und war durch den sogenannten Jetblast eines Triebwerks mehrere Meter durch die Luft geschleudert worden. Der österreichische Oberste Gerichtshof legte die Angelegenheit dem EuGH mit der Frage vor, ob eine Fluglinie für eine psychische Beeinträchtigung Schadensersatz leisten müsse.
Der EuGH urteilte, dass Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal dahin auszulegen ist, dass für eine psychische Beeinträchtigung, die ein Fluggast durch einen Unfall im Sinne dieser Bestimmung erlitten hat, in gleicher Weise Schadensersatz zu leisten ist wie für eine Körperverletzung. Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass der Fluggast eine Beeinträchtigung seiner psychischen Integrität nachweist, die von solcher Schwere oder Intensität ist, dass sie sich auf seinen allgemeinen Gesundheitszustand auswirkt und nicht ohne ärztliche Behandlung abklingen kann.
Hinweis: Es kann also auch Ausgleichszahlungen für psychische Unfallfolgen im Zusammenhang mit einer Flugreise geben. Die Beweislage dabei ist natürlich nicht immer ganz einfach, wie bei allen rein psychischen Auswirkungen. Trotzdem sollten sich Betroffene deshalb keine allzu großen Sorgen machen. Denn im Zweifel können Gutachter die Kausalität feststellen.
Quelle: EuGH, Urt. v. 20.10.2022 - C-111/21
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Wer sich gegen Verleumdungen zur Wehr setzen will, muss besonders in unseren digitalen Zeiten einen langen Atem und ein dickes Fell beweisen. Gut, wenn man Gerichte wie das Oberlandesgericht Celle (OLG) an seiner Seite weiß. Denn das folgende Urteil zeigt, welche Pflichten bestehen, wenn im Internet falsche Darstellungen von Personen zu löschen sind - vor allem, im welchem Umfang.
Auf einer Internetplattform wurde über eine Frau ein Artikel verbreitet mit folgender Überschrift: "Jugendhilfestation O.: Ist Frau K. S. eine Kinderrechteschänderin?" Zudem wurden in verschiedenen Gruppen der Internetplattform Links unter der Überschrift verbreitet. Dagegen ging die Frau vor, und zwar erfolgreich. Dem Antragsgegner wurde daraufhin aufgegeben, es zu unterlassen, über die Frau zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, sie sei eine Kinderrechteschänderin. Zwar löschte der Antragsgegner den Beitrag auf der Internetplattform tatsächlich, doch es kam zu dem Phänomen, das Internetusern altbekannt ist: Die Links waren nach wie vor (hier innerhalb von zwei Gruppen) abrufbar. Daher beantragte die Frau nun ein Ordnungsgeld über 1.000 EUR wegen schuldhafter Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungsverfügung. Dagegen legte der Antragsgegner eine Beschwerde ein - jedoch vergeblich.
Eine schuldhafte Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungsverfügung kann in Augen des OLG auch dadurch verwirklicht sein, dass der Unterlassungsschuldner zwar den ursprünglichen Beitrag löscht, nicht aber eine von ihm vorgenommene Verlinkung auf diesen Beitrag entfernt. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich diesem Link der Kern der zu unterlassenden Äußerung ebenfalls entnehmen lässt.
Hinweis: Wer öffentlich verleumdet wird, kann dagegen effektiv vor den Gerichten vorgehen. Ein entsprechend versierter Rechtsanwalt kann dabei helfen, die Rechte durchzusetzen. Unwahrheiten über eine Person, die auch nach Jahren noch im Internet zu finden sind, sollte es nicht geben.
Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 19.08.2022 - 5 W 25/22
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(aus: Ausgabe 01/2023)
Auch wenn die Pandemie größtenteils überwunden scheint - die Gerichte wird sie noch eine ganze Weile beschäftigen. In diesem Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) ging es um die Frage, ob das Nichterwähnen einer Stornierungsmöglichkeit einer Reise während der Pandemie automatisch einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht darstellt.
Hier klagte eine Verbraucherzentrale gegen eine Reiseveranstalterin von Pauschalreisen. Vom 28.05.2020 bis zum 08.07.2020 befand sich auf der Internetseite der Reiseveranstalterin ein Hinweis, dass sie wegen vieler Anfragen schwer erreichbar sei. Gäste würden in der Reihenfolge ihrer Abreise unaufgefordert kontaktiert, das Team erarbeite gerade alternative Angebote für Reisen im nächsten Jahr. Weiter hieß es: "Wir würden uns freuen, wenn Sie Ihre Traumreise ... um ein Jahr verschieben ...". Ferner bat die Reiseveranstalterin darum, aktuell von Rückfragen abzusehen, "bis das Schreiben bei Ihnen ist". Die Verbraucherzentrale meinte nun, durch die Hinweise würden Kunden davon abgehalten, ihre Reise gegen Rückerstattung des Reisepreises zu stornieren, und klagte wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht.
Das OLG meinte jedoch, dass ein Gutschein statt einer Stornierung nicht unlauter sei. Biete ein Reiseveranstalter seinen Kunden eine Umbuchung einer pandemiebedingt nicht durchführbaren Reise an, ohne ausdrücklich auf die Möglichkeit der Stornierung gegen Rückerstattung des Reisepreises hinzuweisen, ist dies nicht automatisch ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht. Das gilt jedenfalls, solange der Verbraucher nicht über den optionalen Charakter des Angebots getäuscht wird.
Hinweis: Nur weil ein Verhalten nicht wettbewerbswidrig ist, muss es noch lange nicht heißen, dass es auch im Verhältnis zum Reisenden rechtmäßig ist. Verlangt ein Reisender wegen einer ausgefallenen Reise eine Entschädigung oder die Erstattung seines Reisepreises, kann der Anwalt des Vertrauens helfen.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.09.2022 - 6 U 191/21
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(aus: Ausgabe 01/2023)