Auf dieser Seite finden Sie aktuelle Mandanteninformationen. Wenn Sie recherchieren oder ältere Ausgaben betrachten möchten, können Sie hier unser Archiv aufrufen.
Zum Thema Familienrecht
- Angreifbarer Sorgerechtsbeschluss: Keine Sorgerechtsentscheidung ohne negative Kindeswohlprüfung
- Bestimmtheitsgebot: Beschwerdeanträge müssen klar bestimmt sein
- Ersatz für Zugewinnausgleich: Riskantes Vorgehen einer Anwältin kommt diese teuer zu stehen
- Flexibilität fürs Kindeswohl: Selbständige müssen zur Unterhaltssicherung nicht unbedingt ins Angestelltenverhältnis wechseln
- Gewaltschutz: WhatsApp-Statusmeldung ist noch keine Kontaktaufnahme
Sorgerechtsstreitigkeiten gehen oft durch alle Instanzen. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Rostock (OLG) kann eine höhere Instanz einen Sorgerechtsstreit sogar dann zurückverweisen, wenn dies gar nicht beantragt war. Klingt komisch? Dann lesen Sie selbst.
Die unverheirateten Kindeseltern hatten sich im Juni 2022 getrennt. Der Vater wollte gern die gemeinsame Sorge. Die Mutter sträubte sich zunächst, da Gewaltvorwürfe gegen den Vater im Raum standen. Später stimmte sie jedoch zu. Auch das Jugendamt und Psychologen befürworteten die gemeinsame Sorge. Also wurde diese dann auch amtsgerichtlich festgestellt, wobei das Amtsgericht (AG) hier nur die Zustimmung der Mutter und die Empfehlungen der Psychologen und Ämter berücksichtigte - eine Kindeswohlprüfung wurde hingegen nicht durchgeführt. Die Mutter legte daraufhin Beschwerde gegen die Entscheidung ein, da sie nicht richtig über die Auswirkungen ihrer Zustimmung aufgeklärt worden sei.
Das OLG hat daraufhin den Sorgerechtsbeschluss des AG und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben. Der Rechtsstreit wurde insgesamt an das AG zur erneuten Behandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dies sei nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sogar ohne dahingehenden Antrag eines Verfahrensbeteiligten möglich. Voraussetzung dafür ist aber, dass das Gericht in der Sache selbst noch nicht entschieden hat. Hier wurde zwar ein Sorgerechtsbeschluss gefasst - das Gericht hatte aber im vereinfachten Verfahren entschieden. Eine grundsätzlich gebotene negative Kindeswohlprüfung wurde nicht durchgeführt, und genau diese muss es jetzt nachholen.
Hinweis: Ein Gericht darf sich in seiner Prüfung also nicht allein auf die Prüfung beschränken, ob eine Maßnahme dem Kindeswohl entspricht - vielmehr muss es gerade auch prüfen, ob die Entscheidung dem Kindeswohl widerspricht. Tut es das nicht, dann ist seine Entscheidung unter Umständen angreifbar.
Quelle: OLG Rostock, Beschl. v. 27.09.2024 - 10 UF 50/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer sich durch eine Gerichtsentscheidung beschwert fühlt, kann Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung oder einen Teil der Entscheidung einlegen. Hierzu muss man aber ganz genau benennen, im welchem Umfang man sich beschwert fühlt und mit welchem Ziel die angegriffene Entscheidung angefochten werden soll. Unklar war im folgenden Fall vor dem Bundesgerichtshof (BGH), ob der Beschwerte dies im ausreichenden Umfang getan hatte.
Im Jahr 1996 hatte ein Paar durch formlose Erklärung in Ägypten eine sogenannte "Orfi-Ehe", auch "Urfi-Ehe" genannt, geschlossen. 1998 schloss das Paar vor einem Notar im ägyptischen Alexandria schließlich noch die offizielle Ehe mit Ehevertrag. Der Mann war seinerzeit ägyptischer Staatsbürger, die Frau deutsche Staatsbürgerin. Später ließ sich das Paar scheiden. Im Verfahren setzte der Mann eine Auskunftserteilung zur Berechnung des Unterhalts gegen die Frau durch. Nach Auskunftserteilung bezifferte er seinen Antrag aber nicht. Vielmehr beantragte er, dass das Amtsgericht vorab entscheiden soll, ob der Zugewinnausgleich grundsätzlich nach deutschem Recht durchzuführen ist. Der Antrag auf Zugewinnausgleich wurde zurückgewiesen, weil die Beteiligten im Ehevertrag eine Rechtswahl zugunsten des "islamischen Rechts" getroffen hätten. Hiergegen legte der Mann Beschwerde ein, die jedoch als unbestimmt zurückgewiesen wurde.
Der BGH war hier jedoch anderer Meinung. Denn nach § 117 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit muss der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Beschwerde einen bestimmten Sachantrag stellen und diesen damit begründen, sich eindeutig über Umfang und Ziel seines Rechtsmittels zu erklären. Und diesen Vorgaben hatte der Mann hier in Augen des BGH-Senats entsprochen.
Hinweis: Denken Sie bei Ihrer Beschwerde an die W-Fragen: Was beschwert Sie? Warum beschwert es Sie? In welchem Umfang beschwert es Sie? Wie und in welchem Umfang soll erreicht werden, dass diese Beschwer wegfällt? Wenn Sie diese Fragen in Ihrem Antrag beantworten können, sollte dieser bestimmt genug sein.
Quelle: BGH, Beschl. v. 14.08.2024 - XII ZB 386/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer dem guten Rat folgt, einen Rechtsbeistand einzuschalten, der möchte zu Recht sichergehen, dass dieser die Interessen seiner Mandanten gebührend vertritt. Das bedeutet auch, dass Anwälte gerade bei unklarer Rechtslage alle Risiken miteinbeziehen und den sichersten Weg empfehlen müssen. Alles andere führt zu Schadensersatzansprüchen und zum Verlust von Rechtsansprüchen - wie in diesem Fall, der vor dem Bundesgerichtshof (BGH) landete.
Ein ehemaliger Mandant verklagte seine Anwältin auf rund 86.000 EUR Schadensersatz. Er hatte Zugewinnausgleich in dieser Höhe gegen seine Frau geltend gemacht, dieser Anspruch wurde ihm gerichtlich aber rechtskräftig verwehrt. Die Ex-Frau hatte zunächst eine Klage auf Zugewinnausgleich beim Amtsgericht (AG) Mannheim eingereicht. Ihr Ex-Mann tat daraufhin Selbiges beim AG in Delmenhorst. Und eben dieses regte das Ruhen des Verfahrens so lange an, bis die Kollegen in Mannheim über die Klage der Frau entschieden haben. Weil Mannheim aber eben nicht entschied, nahm die Anwältin das Verfahren in Delmenhorst erneut auf - dies aber erst nach zehn Monaten. Die Ex-Frau berief sich daher auf Verjährung - und bekam Recht. Der Mann sah hier ein Verschulden bei seiner Anwältin und nahm sie deswegen in die Haftung.
Vor dem BGH bekam er auch Recht. Nach § 204 Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch wird die Verjährung durch Rechtsverfolgung gehemmt, und zwar für sechs Monate. Im Einzelfall kann die Hemmung auch länger andauern, wenn es für das Nichtbetreiben einen wichtigen Grund gibt. Nimmt ein Anwalt einen wichtigen Grund an, darf er sich aber nicht darauf verlassen, dass das Gericht das ebenso sieht. Er muss also vor Ablauf der Sechsmonatsfrist das Verfahren wieder aufnehmen. Sonst kann in der Tat ein Schaden entstehen, für den der Anwalt einstandspflichtig ist. Im vorliegenden Fall muss die Anwältin nun also den "Zugewinnausgleich" stemmen, also sage und schreibe rund 86.000 EUR.
Hinweis: Auch die Verjährung in Familiensachen wird durch Aufnahme der Rechtsverfolgung gehemmt. Familiensachen dürfen nicht länger als sechs Monate nicht betrieben werden, sonst können sie verjähren.
Quelle: BGH, Urt. v. 19.09.2024 - IX ZR 130/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Eltern sind verpflichtet, ihren Kindern Unterhalt zu leisten. Um diesen zu sichern, kann von einem selbständigen Elternteil sogar gefordert werden, in eine besser bezahlte Anstellung zu wechseln. Ausnahme: Die Selbständigkeit sichert gerade erst, dass sich der Elternteil gut und flexibel um die Kinder kümmern kann, so wie im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Hamm (OLG).
Die Eltern zweier minderjähriger Kinder trennten sich im August 2021. Die Kinder blieben bei der Mutter. Sie zogen mit ihr aus der elterlichen Wohnung in eine Mietwohnung. Der Vater verblieb in einer Immobilie, deren Eigentümer er war, und vermietete diese unter. Die Mutter bezog Berufsunfähigkeitsrente und arbeitet zudem stundenweise selbständig. Nun stritten beide Elternteile um den Unterhaltsanspruch der Mutter. Der Vater wollte diesen nicht zahlen, die Mutter könne schließlich vollschichtig arbeiten gehen. Den Unterhalt für die Kinder zahlte der Vater wiederum anstandslos.
Die Richter des OLG standen auf Seiten der Mutter. Zwar kann von einem Unterhaltsschuldner die Aufgabe einer selbständigen Existenz zugunsten einer besser bezahlten, abhängigen Beschäftigung zumutbar sein. Hier sichert die selbständige Arbeit der Mutter durch die damit verbundene Flexibilität, die im Rahmen eines Angestelltendaseins nicht gegeben ist, dass sie den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden kann.
Hinweis: Unter dem Strich geht es immer um das Kindeswohl. Kann man diesem im Rahmen der Selbständigkeit oder stundenweisen freien Tätigkeit besser gerecht werden, kann nicht verlangt werden, dass man diese aufgibt. Wird von Ihnen im Rahmen eines Unterhaltsprozesses verlangt, dass Sie sich beruflich verändern, argumentieren Sie mit dem Kindeswohl. Nur, wenn die Änderung diesem förderlich wäre, kann diese von Ihnen verlangt werden - sonst nicht!
Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 04.07.2024 - 4 UF 35/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Über das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) lassen sich Annäherungsverbote und Kontaktverbote erwirken. Aber was genau als Kontaktaufnahme gilt, ist besonders in unseren kommunikativ durchtechnisierten Zeiten oft nicht einfach zu bewerten. Genau dann müssen eben auch die Gerichte entscheiden, so wie das Oberlandesgericht Hamburg (OLG).
Die Rechtsanwältin einer Ehefrau hatte deren Ehemann zur Auskunft über seine Vermögensverhältnisse aufgefordert, um den Unterhaltsanspruch der Frau zu berechnen. Eine Auskunft erhielt sie nicht, stattdessen aber übelste und äußerst obszöne Beleidigungen per Mail. Daher erwirkte sie eine Anordnung nach § 1 GewSchG gegen den Ehemann, mit der ihm untersagt wurde, in irgendeiner Form Kontakt zur Rechtsanwältin aufzunehmen, sie zu bedrohen, zu beleidigen, zu verletzen oder sonst körperlich zu misshandeln. Als die Rechtsanwältin ihn später zur Bezahlung einer Forderung aufforderte, zahlte er nicht. In seinem WhatsApp-Status beschimpfte er die Anwältin kurz darauf aber als "korrupte Anwältin" und sparte dabei auch nicht an Beleidigungen seiner Exfrau. Die Juristin hielt dies für einen Verstoß gegen das GewSchG und wollte ein Ordnungsmittel gegen den Ehemann erwirken.
Damit scheiterte sie aber. Das OLG sah in der WhatsApp-Statusmeldung keine Kontaktaufnahme. Zwar werde die Rechtsanwältin angesprochen, eine Kontaktaufnahme setze aber eine aktive Handlung voraus, nicht nur eine bloße Statusmeldung.
Hinweis: Wurden Annäherungsverbote und Kontaktverbote erwirkt, sollte man trotz dieser Entscheidung auch Statusmeldungen, in denen man angesprochen wird, melden. Auch wenn diese noch keine Kontaktaufnahme sind, können sie doch der Anfang einer neuen Eskalation sein. Man tut gut daran, Schutzmaßnahmen zu verschärfen oder eine neue Beratung in Anspruch zu nehmen, was man in solchen Fällen machen kann. Im Status kann zum Beispiel ja auch eine Beleidigung enthalten sein, die neue rechtliche Anordnungen rechtfertigen kann.
Quelle: OLG Hamburg, Urt. v. 08.10.2024 - 12 WF 87/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Zum Thema Mietrecht
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Vermieterin von mehr als 50 Wohnungen muss Zustimmung zum Bau einer Rampe erteilen
- Begrenzung der Miethöhe: Welche Auskunftspflichten der Vermieter wirklich hat
- Keine unzumutbare Belastung: Zwei 90 Jahre alte Eichen dürfen weiterhin kostenlos Laub in den nachbarlichen Pool abwerfen
- Räumungsanspruch bei Gewerbe: Neumieter ohne vertragliche Ansprüche gegenüber Altmieter
- Verwertungskündigung: Unzumutbarkeit von anhaltendem Mietverhältnis während Umbaus muss nachgewiesen werden
Das Landgericht Berlin II (LG) musste sich mit einem Fall beschäftigen, in dem die Vermieterin einem Rollstuhlfahrer verweigert hatte, eine Rampe bauen zu dürfen. Und siehe da, bei der Urteilsfindung kam es hier durchaus auf ein Maß an, das sonst der Gerechtigkeit wegen nicht so gern in den Fokus gerückt wird: auf die Größe.
Der Mieter ist auf einen Rollstuhl angewiesen, um sein Wohnhaus betreten und verlassen zu können. Deshalb verlangten er und sein Ehemann von der Vermieterin die Zustimmung zum Bau einer Rampe. Die Vermieterin, eine Vermietungsgesellschaft mit mehr als 50 Wohnungen, verweigerte jedoch die Zustimmung. In einem vorhergehenden Verfahren hatten die Mieter sie erfolgreich auf Zustimmung zum Bau einer solchen Rampe verklagt - nun verlangten die Mieter aber auch noch eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) für die bereits erlittene Diskriminierung.
Da die Vermieterin die Zustimmung zum Bau der Rampe über zwei Jahre verwehrte, hat sie den Mieter durch Unterlassen unmittelbar benachteiligt. Sie sei aber nach § 5 AGG verpflichtet gewesen, die Benachteiligung durch positive Maßnahmen - beispielsweise durch Erteilung der Zustimmung zum Bau einer Rampe - zu beseitigen. Dieser Handlungspflicht ist die Vermieterin laut LG nicht nachgekommen. Im Vergleich zu anderen Mietern ohne (körperliche) Behinderung war dem Kläger der Zugang zur Wohnung rechtswidrig versagt worden. Ohne Hilfe Dritter war es ihm daher nicht möglich, die vorhandenen sechs Treppenstufen zu überwinden. Zudem konnte er das Haus nicht spontan verlassen oder betreten - er war dadurch in seiner Bewegungs- und Handlungsfreiheit stark eingeschränkt.
Hinweis: Grundsätzlich gilt das AGG auch außerhalb des Arbeitsrechts und bezieht sich auf sämtliche zivilrechtliche Schuldverhältnisse. Allerdings finden die Vorschriften keine Anwendung auf Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien besteht. Eine weitere Ausnahme besteht darin, wenn der Vermieter insgesamt nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet.
Quelle: LG Berlin II, Urt. v. 30.09.2024 - 66 S 24/24
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt kann die Erhöhung der Miete begrenzt werden. Ist die Miete, die der vorherige Mieter zuletzt geschuldet hat, höher als die zulässige Miete, darf nur eine Miete bis zur Höhe der Vormiete vereinbart werden. Der Vermieter ist auf Verlangen des Mieters auskunftspflichtig. Mit einem solchen Fall hatte sich das Landgericht Berlin II (LG) beschäftigt.
Der Mieter hatte eine Stufenklage zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen die Begrenzung der Miethöhe erhoben. Er wollte unter Vorlage der Belege Auskunft darüber erhalten, wie hoch die Miete war, die der Vormieter der Wohnung gezahlt hatte. Der Vermieter gab daraufhin an, wann das Mietverhältnis begonnen und geendet hatte und dass eine Staffelmiete vereinbart worden sei. Bis zum 31.05.2019 habe die Nettokaltmiete 1.524 EUR zzgl. 304,80 EUR Betriebskosten- sowie 101,60 EUR Heizkostenvorauszahlung betragen. Seit dem 01.06.2019 habe sich die Nettokaltmiete auf 1.554,48 EUR und seit dem 01.06.2020 auf 1.585,57 EUR erhöht. Die Vorauszahlungen auf die Betriebs- und Heizkosten seien dabei unverändert geblieben. Der Mieter war der Ansicht, dass die Angaben des Vermieters nicht ausreichten. Gegen ein abweisendes Urteil des Amtsgerichts ging er in die Berufung vor dem LG - und verlor.
Der Vermieter hatte alles Erforderliche angegeben. Die Auskunftspflicht des Vermieters umfasste das Datum des Vertragsschlusses mit dem Vormieter, den vereinbarten Beginn und das tatsächliche Ende des Vormietverhältnisses sowie die Angabe sämtlicher im Vormietverhältnis vereinbarter oder einseitig geänderter Mieten, aufgegliedert nach Grundmiete und Nebenkosten. Der Vermieter ist weder zur Vorlage von Belegen noch zur Versicherung an Eides statt verpflichtet.
Hinweis: Das komplizierte Verfahren über die Auskunftspflicht des Vermieters sollte auf beiden Seiten - also sowohl vom Vermieter als auch vom Mieter - nur mithilfe eines Rechtsanwalts geführt werden.
Quelle: LG Berlin II, Urt. v. 08.02.2024 - 67 S 177/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Ob ein Grundstückeigentümer eine sogenannte Laubrente zur Beteiligung am erhöhten Reinigungsaufwand seines Swimmingpools verlangen kann, wenn Blätter vom Nachbargrundstück in den Pool wehen, musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) klären. Die Übeltäter? Zwei rund 90 Jahre alte Eichen.
Die beiden Bäume standen im Abstand von rund 1,7 m bzw. 2,7 m von der Grundstücksgrenze entfernt. Der Eigentümer der Eichen bekam vor ein paar Jahren neue Nachbarn, die in ihrem Garten einen Pool errichteten. Da von den Eichen immer wieder Laub und Eicheln herüber in den Pool geweht wurden, verlangten diese "neuen" Nachbarn nun monatlich eine im Voraus zu leistende sogenannte Laubrente in Höhe von ca. 280 EUR von ihrem Nachbarn mit den Eichen auf seinem Grund und Boden.
Die Klage wurde abgewiesen. Errichtet ein Grundstückseigentümer einen offenen Pool im Traufbereich von zwei auf dem Nachbargrundstück vor 90 Jahren ohne Einhaltung des Grenzabstands gepflanzten Eichen, kann er anschließend keine Kostenbeteiligung des Nachbarn hinsichtlich des erhöhten Reinigungsaufwands verlangen. Die Kläger erlitten keine Nachteile, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überstiegen. Außerdem urteilten die Richter des OLG, dass sich die Nachbarn schließlich in Kenntnis der Eichen zum Bau des Pools entschlossen hatten. Damit müssen sie auch den erhöhten Reinigungsaufwand entschädigungslos hinnehmen.
Hinweis: Fällt Laub des Nachbarn auf das eigene Grundstück, kann eine sogenannte Laubrente zu zahlen sein. Dabei handelt es sich um einen Geldbetrag, um den Mehraufwand bei der Entsorgung des Laubs finanziell auszugleichen. Es muss jedoch eine unzumutbare Belastung vorliegen. Im Regelfall sind Laub, Nadeln und Zapfen von Nachbarbäumen hinzunehmen.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.08.2024 - 19 U 67/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Das Oberlandesgericht Dresden (OLG) musste sich mit einem interessanten Fall einer dreiseitigen Vereinbarung zwischen Vermieter, Altmieter und Neumieter auseinandersetzen. Die zu klärende Frage war hier, ob der neue Mieter gegenüber dem Altmieter einen unmittelbaren Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Gewerberäume hatte.
Eine Mieterin hatte Gewerberäume angemietet - bestehend aus einem Lager, einem Büro und einer Werkstatt. Dann wurde zwischen ihr, der Vermieterin und einem Neumieter ein Vertrag geschlossen, in dem geregelt wurde, dass die Mieterin aus dem Mietverhältnis austritt und stattdessen der neue Mieter mit allen Rechten, Pflichten und Regelungen in das Mietverhältnis eintritt. Allerdings räumte die Mieterin die Gewerbefläche nicht, und so forderte der Neumieter die Räumung und klagte diese ein. Dass die "alte" Mieterin während des Berufungsverfahrens doch die Räume verließ, machte aus dem Neumieter noch lange keine glückliche Person. Denn der große Haken folgte noch.
Das OLG hat nämlich sämtliche Kosten des Rechtsstreits dem Neumieter auferlegt. Denn aus einer dreiseitigen Vereinbarung zwischen Vermieter, Altmieter und Neumieter hatte Letzterer keinen unmittelbaren Anspruch gegen den Altmieter auf Räumung und Herausgabe der Räume. Aus dem Wortlaut des Vertrags konnte nur geschlossen werden, dass es sich um einen Nachtrag zum ursprünglichen Mietvertrag handelte. Und in diesem stand lediglich, dass der Mietvertrag zwischen dem Vermieter und dem ursprünglichen Mieter beendet sei und ein neuer Mietvertrag zwischen dem Vermieter dem Neumieter begründet wurde - unmittelbare Ansprüche zwischen Alt- und Neumieter bestanden in dem Vertrag nicht.
Hinweis: Das Urteil ist im Gewerberaummietrecht ergangen. Im Mietrecht über Wohnräume ist natürlich zudem der Kündigungsschutz für Mieter zu beachten.
Quelle: OLG Dresden, Urt. v. 08.04.2024 - 5 U 1855/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wenn ein Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleidet, liegt laut § 573 Abs. 2 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch ein berechtigtes Vermieterinteresse an der Beendigung des Mietverhältnisses vor. Mit diesen Eckpunkten musste das Landgericht Lübeck (LG) über eine solche Verwertungskündigung entscheiden.
Eine Vermieterin hatte unter anderem einer Mieterin wegen der geplanten Modernisierung und Sanierung einer Wohnanlage für einen Zeitraum von ca. 18 Monaten gekündigt, da im bewohnten Zustand Sanierung und Modernisierung der Bausubstanz nicht möglich seien. Insbesondere würde eine komplette Erneuerung der Küchen und Bäder erfolgen, wobei Veränderungen der Wohnungsgrundrisse vorgenommen würden, da die Bäder vergrößert werden sollten. Zudem solle eine Veränderung der Wohnungsgrundrisse zur nahezu barrierefreien Nutzung erfolgen. Dass eine Sanierung im bewohnten Zustand nicht möglich war, war zwischen den Parteien sogar unstreitig, und die Vermieterin bot der Mieterin Alternativwohnungen und auch Hilfen beim Umzug an. Die Mieterin widersprach der Kündigung trotzdem und wandte eine nicht hinzunehmende Härte ein. Nachdem das Amtsgericht (AG) der Räumungsklage stattgegeben hatte, beantragte die Mieterin während des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe, die sie auch erhielt, da die Berufung hinreichende Aussichten auf Erfolg hatte.
Das LG entschied schließlich auch, dass bei der Frage, ob ein Vermieter bei Fortsetzung des Mietverhältnisses an der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert sei, nicht allein darauf abzustellen sein dürfe, ob eine bewohnte Wohnung der Durchführung der angestrebten Verwertung entgegenstehe. Vielmehr ist auch zu bewerten, ob das Mietverhältnis die Durchführung der Arbeiten hindere. Das kann der Fall sein, wenn sich der Mieter nicht bereiterklärt, seine Wohnung vorübergehend zu räumen. Und selbst eine vorübergehende Räumung müsse dem Vermieter insbesondere in finanzieller Hinsicht zumutbar sein. Dabei kommt es auf die Dauer der Unterbringung und auf die Relation der Unterbringungskosten zu den reinen Modernisierungskosten an. Und eben diese Punkte muss nun das AG als Vorinstanz nochmals genau prüfen. Kommt es also zu dem Ergebnis, dass die Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses während der Umbaumaßnahmen für den Vermieter unzumutbar sei, wird es der Räumungsklage stattgeben müssen.
Hinweis: Möchte ein Vermieter eine solche Verwertungskündigung aussprechen, sollte er im Vorfeld dringend weiteren Rat einholen. Gleiches gilt natürlich auch für einen Mieter, der eine solche Kündigung erhält. In diesem Bereich ist wirklich jeder Fall anders und muss einzeln betrachtet werden.
Quelle: LG Lübeck, Beschl. v. 26.06.2024 - 14 S 38/24
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Zum Thema Verkehrsrecht
- 1 PS gegen Motorrad: Halterin haftet voll für Verletzungen einer Motorradfahrerin durch ausschlagendes Pferd
- Folgenreiche Feldarbeiten: Auch wenig befahrene Straße muss bei starker Verunreinigung gesäubert werden
- Haftung nach Steinschlag: Verschuldensunabhängige Regelung in Mietwagen-AGB führt zu Unwirksamkeit der Klausel
- Unangeschnallt = Mitschuld? Verursachungs- und Verschuldensbeitrag tritt bei schwerwiegendem Verstoß gegen StVO zurück
- Zwischenzeitliche Gesetzesänderung: Neue THC-Grenzwerte bei Autofahrten unter Cannabiseinfluss
Auch angesichts der Tatsache, dass ein Pferd nicht fährt, darf es Fahrbahnen dennoch benutzen. Im Fall des Landgerichts Lüneburg (LG) wurde das laufende Pferd sogar von seiner ebenso laufenden Halterin den Fahrbahnrand entlanggeführt - auch das ist völlig zulässig. Doch sobald Pferd und Mensch dabei ein eher unsicheres Gespann bilden, das eine Gefahr für andere - fahrende - Verkehrsteilnehmer darstellt, ist Schluss mit lustig.
Eine Motorradfahrerin befuhr mit ihrem Sozius eine Landstraße. Am linken Fahrbahnrand befand sich eine Fußgängerin, die an der linken Hand einen Hund führte und mit der rechten ein Pferd. Die Motorradfahrerin entschloss sich, an der Gruppe vorbeizufahren und fuhr am rechten Fahrbahnrand entlang. Das Pferd spürte offensichtlich dennoch das von hinten herannahende Motorrad, drehte sein Hinterteil in die Straße und schlug aus. Nachdem die Motorradfahrerin am Arm getroffen wurde, stürzte sie. Die Tierhalterhaftpflichtversicherung regulierte 70 % des Schadens - doch die Motorradfahrerin forderte vollen Schadensersatz.
Das LG gab der Verunfallten recht. Auch eine Motorradfahrerin dürfe darauf vertrauen, dass die Pferdehalterin, die ihr Pferd am Straßenrand entlangführt, das Tier derart kontrollieren kann, dass ein herannahendes Fahrzeug nicht in Gefahr gerät. Und da hier kein Mitverschulden der Motorradfahrerin nachzuweisen war, haftete die Tierhalterin alleinig.
Hinweis: Die Beklagte war zwar gemäß § 28 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) grundsätzlich berechtigt, ihr Pferd auf der betreffenden Straße zu führen - dies aber nur, wenn sie auf dieses ausreichend einwirken könne, um Gefahr für den Verkehr zu vermeiden und die allgemeinen Verkehrsregeln einzuhalten. Gerade dies war hier aber nicht der Fall, so dass die Beklagte in der konkreten Unfallsituation schuldhaft gegen das § 28 StVO zu entnehmende Verbot verstieß, potentiell für den allgemeinen Verkehr gefährliche Pferde, bei denen die Gefahr auch nicht durch Einwirkung auf diese hinreichend kontrolliert werden konnte, auf der Straße zu führen.
Quelle: LG Lüneburg, Urt. v. 30.05.2024 - 5 O 362/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer Angst hat, sich die Hände schmutzig zu machen, sollte von Feldarbeiten absehen. Und dass man selbst nach verrichteter Arbeit Dreck nicht Dreck sein und einfach da belassen sollte, wo er angefallen ist, zeigt das folgende Urteil. Gefällt hat es das Landgericht Flensburg (LG) bei der Bewertung, ob es einem Mülllasterfahrer anzulasten war, dass er in der Kurve von einer verschmutzten Straße abkam.
Der Schaden des in den Graben verunfallten Mülllasters wurde zunächst über die Kaskoversicherung abgewickelt. Die Unfalluntersuchung ergab, dass der Lkw deshalb verunfallte, weil die Straße drei Tage zuvor bei Maishäckselarbeiten stark verschmutzt, danach aber nicht gereinigt worden war und sich stattdessen eine "schmierige Kleieschicht" gebildet hatte. Auf dieser kam der Mülltransporter ins Rutschen. Die Kaskoversicherung forderte daher Regress von der Haftpflichtversicherung des Maishäckslers. Diese wies den Anspruch jedoch zurück. Die Straße sei nicht derartig verschmutzt gewesen, es läge ein Fahrfehler des Lkw-Fahrers vor. Außerdem habe es sich um einen untergeordneten Wirtschaftsweg gehandelt.
Das LG gab jedoch der Kaskoversicherung recht. Zum einen bestehe laut Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) die Pflicht, Straßen von starken Verschmutzungen zu reinigen, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen (§ 32 StVO). Zum anderen sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich um einen Wirtschaftsweg handeln sollte. Entscheidend hierfür sei entweder eine eindeutige Beschilderung oder der offensichtliche optische Eindruck. Hier aber war der Weg vier Meter breit und führte an mehreren Wohnhäusern vorbei. Es war daher von den normalen Verkehrssicherungspflichten auszugehen. Die erhebliche Verschmutzung konnte wiederum nachgewiesen werden, so dass der Versicherer aus dem Aspekt der Verkehrssicherungspflichtverletzung haftet.
Hinweis: Bei der Beurteilung des Charakters einer Straße kommt es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung allein auf den "wirklichen Charakter" und nicht auf sonstige Kriterien an, also zum Beispiel nicht auf seine katastermäßige Erfassung oder die öffentlich-rechtliche Widmung. Es kommt maßgeblich darauf an, ob eine Straße als Feld- oder Waldweg "für jeden aufmerksamen Benutzer", auch wenn er nicht ortskundig ist, deutlich als solcher in Erscheinung tritt. Dies war hier nicht der Fall. Die Beseitigungspflicht und Pflicht zur Kenntlichmachung von Verschmutzungen richtet sich gemäß § 32 StVO an "jedermann", das heißt an Verkehrsteilnehmer und an Nichtverkehrsteilnehmer. Zweck der Norm ist der umfassende Schutz des öffentlichen Verkehrs vor Verkehrsbeeinträchtigungen.
Quelle: LG Flensburg, Urt. v. 10.05.2024 - 12 O 71/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer sich ein Auto leiht, muss für selbstverschuldete Schäden aufkommen. Was im Privaten Ehrensache ist, wird im gewerblichen Leihbetrieb schriftlich geregelt. Dass aber nicht alles "bleibt", was sprichwörtlich geschrieben und unterschrieben wurde, zeigt der Fall des Amtsgerichts München (AG). Denn wie - bitteschön - sollte ein noch so vorsichtiger Autofahrer auch verhindern, dass die Windschutzscheibe seines Gefährts von einem Stein getroffen wird?
Ein Verbraucher mietete bei einer Autovermietung einen Tesla. Laut den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) beträgt der Selbstbehalt pro Teil- und Vollkaskoschaden 500 EUR. Während der Mietdauer entstand schließlich durch einen Steinschlag ein Schaden, der repariert werden musste. Daraufhin belastete die Autovermietung die Kreditkarte des Kunden mit 500 EUR. Mit der Klage forderte der Kunde die Rückerstattung dieses Betrags.
Das AG gab der Klage statt, da kein Rechtsgrund für die Abbuchung vorlag. Die Autovermietung habe keinen Anspruch auf Schadensersatz, da der eingetretene Schaden nicht durch den Kläger zu vertreten war. Zu derartigen Schäden käme es häufig durch Aufschleudern kleinster Steinchen auf der Fahrbahn - und zwar oft, ohne dass dies vom Fahrer überhaupt bemerkt und von diesem somit auch nicht vermieden werden könnte. Der Mieter kann daher das Risiko derartiger Schäden ebenso wenig beherrschen wie der Vermieter. Kein Schadensersatzanspruch bestehe aufgrund der im Mietvertrag enthaltenen AGB-Klausel: "Selbstbehalt pro Teil- und Vollkasko-Schadensfall 500 EUR". Denn eine derartige verschuldensunabhängige Regelung weiche von den mietrechtlichen Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuchs ab. Die Regelung einer verschuldensunabhängigen Haftung innerhalb der einseitig gestellten AGB führt allerdings ohne Vereinbarung eines Nachteilsausgleichs für den Mieter oder sonstige entgegenstehende höherrangige Interessen des Vermieters zu einer Unwirksamkeit der Klausel. Mieter haften grundsätzlich nur für Schäden, die sie selbst verschuldet haben.
Hinweis: Für Schäden während der Mietzeit haftet der Mieter nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht verschuldensunabhängig - auch nicht im Rahmen einer vereinbarten Kaskoselbstbeteiligung. Gerade bei Steinschlagschäden besteht kein Anspruch des Vermieters gegen den Mieter.
Quelle: AG München, Urt. v. 29.04.2024 - 231 C 10607/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Auch wenn immer wieder mal gegen die geltende Gurtpflicht verstoßen wird, ist sich der überwiegende Teil der Verkehrsteilnehmer über deren Sinn und Zweck einig. Wenn es dennoch zu einem Unfall mit Personenschäden kommt, muss eine unangeschnallte Person stets damit rechnen, für erlittene Schäden mit zur Verantwortung gezogen zu werden. Im Fall des Oberlandesgerichts Köln (OLG) war das anders - denn hier war klar, wem die überwiegende Hauptschuld anzulasten war.
Ein betrunkener Autofahrer verursachte einen schweren Verkehrsunfall, als er mit Tempo 155 km/h (erlaubt waren 70 km/h) über eine Landstraße raste, auf die Gegenfahrbahn geriet und dort mit einem entgegenkommenden Auto zusammenstieß. Darin wurde die Beifahrerin an der Wirbelsäule schwer verletzt, da hinter ihr eine unangeschnallte Frau saß. Der verursachende Autofahrer selbst überlebte den Unfall hingegen nicht, seine Haftpflichtversicherung zahlte rund 380.000 EUR Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Versicherung versuchte dann aber, Geld zurückzubekommen, und verklagte die Frau auf dem Rücksitz auf Zahlung von rund 270.000 EUR, weil diese gegen die Gurtpflicht verstoßen habe und beim Unfall nach vorne gegen den Sitz der Beifahrerin geschleudert worden ist, wobei ihre Knie dabei die schweren Verletzungen der Vorderfrau (mit-)verursacht hätten. Nachdem die Klage in der ersten Instanz keinen Erfolg hatte, ging die Versicherung in Berufung.
Das OLG wies die Klage ebenfalls ab. Die Gurtpflicht schütze zwar nicht nur den Anschnallpflichtigen selbst, sondern soll zudem auch andere Fahrzeuginsassen vor Verletzungen durch nicht angeschnallte Mitfahrende bewahren. Wer sich nicht anschnalle, könne daher auch für die Verletzung anderer Fahrzeuginsassen haftbar gemacht werden. Die Frau auf dem Rücksitz müsse hier aber dennoch nicht (mit-)haften. Denn das Verhalten des fahruntüchtigen Fahrers sei maßgeblich für den Unfall und damit auch für den dadurch entstandenen Schaden gewesen. Das Gericht führte aus, dass vor dem Hintergrund seines "strafwürdigen, grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens" eine mögliche Mithaftung der nicht angeschnallten Frau vollständig zurücktrete. Das OLG ließ offen, ob diese tatsächlich die schweren Verletzungen der Beifahrerin verursacht hatte.
Hinweis: Der Senat stellte zutreffend fest, dass die nicht angeschnallte Mitfahrerin grundsätzlich neben dem betrunkenen Autofahrer haftet. Ein Ausgleichsanspruch - also eine Haftung der nicht angeschnallten Mitfahrerin - scheitert aber daran, dass im Rahmen der Haftungsverteilung der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag der nicht angeschnallten Mitfahrerin vollständig hinter denjenigen des betrunkenen Autofahrers zurücktritt, der in schwerwiegender Weise gegen die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) (alkoholisiert/überhöhte Geschwindigkeit) verstoßen hatte.
Quelle. OLG Köln, Urt. v. 27.08.2024 - 3 U 81/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer heute eine Tat begeht, die unter Strafe steht, aber erst morgen dafür belangt wird, darf hoffen, straffrei auszugehen. Denn manchmal kommt es vor, dass Gesetze novelliert werden. Und wenn diese Überarbeitungen in Kraft treten, während die Rechtsbeschwerde läuft, hat jemand Glück - so wie kürzlich ein THC-Freund vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG).
Der Betroffene hatte gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Zunächst ohne Erfolg, denn er wurde vom Amtsgericht Papenburg (AG) wegen einer Autofahrt unter Cannabiseinfluss zu einer Geldbuße von 1.000 EUR und einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt. Das AG hatte festgestellt, dass der Betroffene mit einem THC-Wert von 1,3 ng/ml im Blut ein Fahrzeug geführt hatte. Gegen dieses Urteil legte der Betroffene Rechtsbeschwerde ein.
Das OLG hat der Rechtsbeschwerde stattgegeben. Dabei kam dem Betroffenen eine zwischenzeitliche Gesetzesänderung zugute. Denn als das AG am 09.02.2024 sein Urteil verkündete, galt für Autofahrten unter Cannabiseinfluss noch ein Grenzwert von 1,0 ng/ml. Daher stellte der Senat fest, dass das AG seinerzeit zu Recht von einer Überschreitung des Grenzwerts ausgehen musste. Am 22.08.2024 - und damit nach dem Urteil des AG, aber vor der Entscheidung des OLG - trat im Zuge der Cannabislegalisierung jedoch eine Gesetzesänderung in Kraft, die den Grenzwert für Fahrten unter Cannabiseinfluss auf 3,5 ng/ml heraufsetzte (§ 24a Abs. 1a Straßenverkehrsgesetz (StVG)). Diese Gesetzesänderung war aufgrund § 4 Abs. 3 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) zugunsten des Betroffenen zu berücksichtigen. Da der THC-Gehalt des Betroffenen unterhalb des neuen Grenzwerts lag, hob der Senat das Urteil des AG auf - und sprach den Betroffenen frei.
Hinweis: Für die Anwendung des § 24a Abs. 1a StVG auf sogenannte Altfälle ist zumindest der Rechtsgedanke des § 4 Abs. 3 OWiG heranzuziehen, wonach in dem Fall, in dem ein Gesetz, das bei der Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert wird, stets das mildeste Gesetz anzuwenden ist. Wenn nunmehr der maßgebliche Wert in § 24a StVG über dem Wert liegt, den der Betroffene bei der einer Verurteilung zugrundeliegenden Fahrt im Blut hatte, hätte er bei einer Tatbegehung nach Inkrafttreten des Gesetzes den Bußgeldtatbestand nicht verwirklicht. Er war daher freizusprechen.
Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.08.2024 - 2 ORbs 95/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Zum Thema Sonstiges
- Kein Schadensersatz: Nahegelegener Windpark stellt keine wesentlichen Beeinträchtigungen des Eigentums dar
- Schmerzensgeld für Fußballer: Keine Strafe vom Schiedsrichter ist Anhaltspunkt für nicht grob von der Norm abweichendes Foul
- Streamingdienst gehackt: Spitznamenangabe und ausgebliebener Vermögensschaden schmälern Anspruch
- Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt: Wer zu spät kommt, den bestraft der Anwaltsgerichtshof
- Überstehende Gehwegplatte: Gesamtumstände entscheiden über Zustandsbewertung bei Niveauunterschied von 2,5 cm
"Not in my backyard!" - kurz "Nimby" - bezeichnet das Phänomen, dem Allgemeinwohl dienende Maßnahmen durchaus zu befürworten, solange diese nicht direkt vor der eigenen Haustür (oder im eigenen Hof) durchgeführt werden. Einen solchen Fall hatte das Landgericht Koblenz (LG) zu klären. Und zwar musste es sich mit der durchaus wichtigen Frage beschäftigen, ob Anwohner in der Nähe von Windrädern Schadensersatzansprüche haben können.
Eigentümer und Bewohner einer Immobilie, die in rund 1,4 km Luftdistanz zum nächstgelegenen Windrad eines Windparks wohnten, behaupteten, dass von den Windenergieanlagen schädliche Umwelteinwirkungen und unzumutbare Beeinträchtigungen ausgehen würden. Der von der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm; einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesrepublik Deutschland) vorgesehene Lärmwert werde nachts im Bereich ihrer Immobilie überschritten. Zudem trete noch im Bereich ihrer Immobilie ein von den Windenergieanlagen emittierter Infraschall unterhalb von 8 Hz auf, der als Erschütterung wahrnehmbar sei und in die Innenräume gelange. Dort führe dies zu verstärkten Schalldruckwerten, Brummgeräuschen sowie Schwingungen. Hierauf seien wiederum vermehrter Stress, Beeinträchtigungen des Schlafs und sogar Gesundheitsschäden zurückzuführen. Eine weitere Eigentumsbeeinträchtigung gehe von dem nachts durch den Windpark hell erleuchteten Himmel aus. Deshalb klagten die Eigentümer auf Unterlassung während der Ruhezeiten und hilfsweise Schadensersatz. Außerdem wollten sie einen Wertverlust ihrer Immobilien ersetzt erhalten.
Nachdem es ein Immissionsgutachten eingeholt hatte, laut dem durchgeführte Messungen keine Überschreitung der Grenzwerte ergeben hatten, wies das LG die Klage ab. Auch die Beleuchtung der Windenergieanlagen war hinzunehmen. Eine wesentliche Einwirkung auf das Eigentum ergab sich auch daraus nicht. Die Gutachter hatten zudem eine Wechselwirkung aller Immissionen im Wege einer Gesamtschau vorgenommen und keine wesentlichen Beeinträchtigungen gesehen. Nach Auffassung des Gerichts lag somit auch keine wesentliche Beeinträchtigung des Eigentums vor.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Vieles spricht jedoch dafür, dass sie richtig ist. Da die Windenergie in Deutschland immer weiter ausgebaut wird, bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung in dieser Hinsicht entwickeln wird.
Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 18.07.2024 - 5 O 53/18
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Fußball ist bekanntlich ein Kontaktsport. Da lässt es sich im hitzigen Spielverlauf oder aus taktischen Gründen nicht verhindern, als Spieler des Öfteren schmerzhaft gestoppt zu werden. Wie aber sieht es hier eigentlich mit den unter Umständen folgenreichen Konsequenzen aus, die die Karriere kosten können? Das Landgericht Koblenz (LG) hat kürzlich einen solchen Fall entschieden, in dem ein Fußballer von seinem Gegenspieler ein Schmerzensgeld verlangt hatte.
Ein Fußballspieler war von einem gegnerischen Spieler während eines Spiels schwer verletzt worden. Er behauptete, dass der gegnerische Spieler ohne die Chance, an den Ball zu kommen, mit gestrecktem Bein gegen sein Sprunggelenk gesprungen sei. Er hatte es offensichtlich darauf angelegt, ihn zu treffen, und damit bei ihm einen Bruch des Wadenbeins, einen Bänderriss und eine Kapselverletzung am oberen Sprunggelenk seines rechten Fußes verursacht. Aufgrund der Verletzungen sei er dreimal operiert worden, leide bis heute unter den Folgen der Verletzung und könne keinerlei Kontaktsportarten mehr ausführen. Sonstige Belastungen wie etwa Joggen seien nur unter Schmerzen und auch nur eingeschränkt möglich. Und da es bereits vor dem Spiel zur Ankündigung der Körperverletzung gekommen sei, verlangte der verletzte Fußballspieler nun eine Zahlung von 10.000 EUR Schmerzensgeld sowie die Feststellung, dass der Gegner für alle weiteren aus dem Vorfall resultierenden Schäden zahlen müsse.
Die entsprechende Klage hat er vor dem LG allerdings verloren. Die Haftung eines Sportlers setzt den Nachweis voraus, dass dieser schuldhaft gegen die Regeln des sportlichen Wettkampfs verstoßen und dabei einen anderen verletzt habe. Ein objektiver Regelverstoß - wie vorliegend das harte Treffen mit dem Fuß am Sprunggelenk, ohne dass dabei der Ball getroffen worden wäre - indiziert nicht automatisch ein schuldhaftes Verhalten. Die Eigenart des Fußballspiels fordert vom einzelnen Spieler oft Entscheidungen und Handlungen, bei denen er schnell Chancen abwägen und Risiken eingehen muss, um dem Spielzweck dieses Kampfspiels erfolgreich Rechnung zu tragen. Auch das müsse im Rahmen des Schuldvorwurfs berücksichtigt werden. Ein Schuldvorwurf sei daher nur berechtigt, wenn die durch den Spielzweck gebotene bzw. noch gerechtfertigte Härte die Grenze zur Unfairness überschreite. Solange sich das Verhalten des Spielers noch im Grenzbereich zwischen kampfbetonter Härte und unzulässiger Unfairness bewege, sei ein Verschulden trotz objektiven Regelverstoßes nicht gegeben. Eine Haftung komme daher nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Regelwidrigkeit oder beim Überschreiten der Grenze zwischen noch gerechtfertigter Härte und unfairem Regelverstoß in Betracht. In der Beweisaufnahme kam es zwar zu unterschiedlichen Darstellungen des Vorfalls - der erforderliche unfaire Regelverstoß wurde dabei jedoch nicht nachgewiesen.
Hinweis: Dass der Schiedsrichter keine weitere Strafe für das Foul vergeben hatte, war in dem Fall maßgeblich. Denn dies sei ein Anhaltspunkt dafür, dass kein grob von der Norm abweichendes regelwidriges Foul vorgelegen habe. Und nur dann kann ein Schadensersatzanspruch in Betracht kommen.
Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 07.08.2024 - 15 O 399/22
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer seine Daten externen Diensten anvertraut, erwartet, dass diese Daten so sicher wie möglich bewahrt werden - dafür sorgt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Das Landgericht Lübeck (LG) hatte sich nun in einem interessanten Fall mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Datenleck auf einer Musikstreamingplattform automatisch Schadensersatzansprüche nach sich zieht und wie hoch diese unter Umständen zu beziffern sind.
Bei einem Musikstreamingdienst war es im Jahr 2019 zu einem erfolgreichen Datenzugriff unbefugter Dritter gekommen. Die Täter machten den Vorfall 2022 öffentlich bekannt und boten die Datensätze im Darknet zum Verkauf an. Der Streamingdienst meldete den Vorfall der französischen Aufsichtsbehörde und informierte die Kunden auf seiner Homepage. Die Daten der Kunden waren mittlerweile auch kostenlos abrufbar. Anfang 2023 informierte der Streamingdienst schließlich die individuell betroffenen Nutzer per E-Mail. Einer dieser Nutzer verlangte daraufhin Schadensersatz in Höhe von 3.000 EUR.
Das LG gab ihm teilweise recht. Der Mann hatte einen Anspruch auf Zahlung von immateriellem Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Datenschutzverstößen. Die Höhe des Schadensersatzes beziffert das Gericht jedoch lediglich auf 350 EUR. Es hielt diesen Betrag für angemessen, aber auch für ausreichend, um den immateriellen Schaden auszugleichen, gleichzeitig der erforderlichen Abschreckungswirkung Rechnung zu tragen sowie dabei die besonderen Umstände des Falls zu würdigen.
Hinweis: Gerichten steht bei der Höhe des Schadensersatzanspruchs ein weiter Ermessensspielraum zu. In diesem Fall war zu berücksichtigen, dass in dem Datenpaket lediglich der Spitzname und nicht der Klarname enthalten war. Außerdem war es - zumindest bislang - nicht zu einer konkreten Vermögensschädigung gekommen.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 04.10.2024 - 15 O 216/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2024)
Wer eine Frist oder einen Termin bei Gericht verpasst, kann unter Umständen einen sogenannten Wiedereinsetzungsantrag stellen. Allerdings müssen dafür gewisse Voraussetzungen vorliegen, wie der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen (AGH) kürzlich festgestellt hat. Klar wird hier, dass auch Menschen, die es erfolgreich durch zwei haarige Juraexamen geschafft haben, manchmal an lebenspraktischen Planungen scheitern können.
Eine Rechtsanwältin musste um 13 Uhr zu einem Termin erscheinen. Warum sie diesen Termin verpasste? Weil sie erst 75 Minuten zuvor mit ihrem Pkw aufgebrochen war, was für ein pünktliches Eintreffen bei der gegebenen Entfernung schon rein rechnerisch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h voraussetzte. Innerstädtisch ist diese Geschwindigkeit nicht gestattet. Verzögerungen müssten also außerorts kompensiert werden, was an einem Freitagmittag quer durch das zusätzlich von Baustellen durchzogene Ruhrgebiet von vornherein ausgeschlossen ist. Eine derartige Planung der Anfahrtszeit ist zudem dann unzureichend, wenn die Rechtsanwältin nicht über ein funktionsfähiges Mobiltelefon verfügt, mit dem sie dem Gericht eine etwaige unvorhersehbare Verzögerung mitteilen könnte. Zu den zumutbaren Maßnahmen zählt dann, eine Tankstelle oder einen Rastplatz anzufahren, um das Gericht telefonisch von dort aus über eine drohende verspätete Ankunft zu unterrichten. Und zu guter Letzt hätten für das Parken des eigenen Pkw und den Fußweg in den Saal bei sorgfältiger Planung weitere Zeiträume berücksichtigt werden müssen. Dazu gehört im Übrigen auch das Mitführen des Rechtsanwaltsausweises. Denn ohne den Ausweis muss mit längeren Wartezeiten beim Zugang zum Gerichtsgebäude gerechnet werden.
Nach dieser Aneinanderreihung nicht umgesetzter Vorkehrungen ist leicht zu erahnen, was folgte: Hier lehnte der AGH den Wiedereinsetzungsantrag der Rechtsanwältin ab.
Hinweis: Versäumt ein Rechtsanwalt eine Frist oder einen Termin, sollte das offen kommuniziert werden. Natürlich sollten Fehler nicht passieren, und tatsächlich geschieht dies lediglich in sehr seltenen Fällen. Wichtig ist es dann, den Schaden zu begrenzen und über den Fehler miteinander zu sprechen.
Quelle: AGH NRW, Urt. v. 05.09.2024 - 2 AGH 1/24
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2024)
"Augen auf im Straßenverkehr!" gilt auch für jene, die sich zu Fuß durch die Öffentlichkeit bewegen. Ob eine nicht ordnungsgemäß verlegte Gehwegplatte derart zu beanstanden ist, dass sie zu Schadensersatz führt, musste das Landgericht Lübeck (LG) entscheiden. Doch Vorsicht bleibt auch nach dessen Urteil geboten, denn bei Hindernissen auf öffentlichem Straßenland muss wirklich jeder "Fall" gesondert betrachtet werden.
Ein Mann war zu Fuß in Lübeck eigenen Angaben zufolge aus der Innenstadt kommend in Richtung Holstentor unterwegs. Im Bereich vor einem ehemaligen Sportkaufhaus sei er an einer mittig auf dem Gehweg herausstehenden Kante einer Gehwegplatte mit dem linken Fuß hängengeblieben und gestürzt. Die Gehwegplatte habe einen Niveauunterschied zwischen 1 cm und 2,5 cm zu den umliegenden Gehwegplatten aufgewiesen. Diese Schwelle habe er nicht wahrnehmen oder erwarten können. Deshalb verlangte er nun Schadensersatz von der Stadt - den er nicht erhielt.
Das LG war der Ansicht, Straßen müssen sich grundsätzlich nicht in einem einwandfreien Zustand befinden. Es könne von ihnen mit Blick auf etwaige Unebenheiten stets eine Restgefahr ausgehen. Der Umfang der Sorge für die Verkehrssicherheit werde maßgeblich von Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrswegs und seiner Bedeutung bestimmt. Grundsätzlich muss ein Straßenbenutzer sich aber den vorgefundenen Straßenverhältnissen anpassen. Selbst wenn man zugunsten des Verletzten von einem Höhenunterschied der Gehwegplatten von bis zu 2,5 cm ausginge, wäre mit Blick auf die Gesamtumstände kein pflichtwidriger Zustand des Gehwegs festzustellen. Auf Gehwegen im Allgemeinen werden von der Rechtsprechung Niveauunterschiede von ca. 2 cm bis 3 cm regelmäßig akzeptiert.
Hinweis: In diesem Bereich ist wirklich jeder Fall gesondert zu betrachten. Geschädigte sollten dieses Urteil keineswegs zum Anlass nehmen, nicht gegen Städte und Gemeinden vorzugehen. Es bedarf vorab einer sorgfältigen Prüfung durch einen Rechtsanwalt.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 06.09.2024 - 10 O 240/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2024)