Auf dieser Seite finden Sie aktuelle Mandanteninformationen. Wenn Sie recherchieren oder ältere Ausgaben betrachten möchten, können Sie hier unser Archiv aufrufen.
Zum Thema Familienrecht
- Gesteigerte Erwerbsobliegenheit: Kindesunterhalt hat Vorrang vor Erstausbildung eines 45-jährigen Hilfsarbeiters
- Keine Vaterrechte nach Missbrauch: Jugendliche dürfen Auskunft über sich selbst verweigern
- Mutmaßungen unzulässig: Vor Erteilung eines Umgangsausschlusses müssen Familiengerichte hohe Hürden nehmen
- Pandemie kein Grund für Untätigkeit: Bei Trennung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft verjähren Ansprüche nach drei Jahren
- Richterliches Ermessen: Verfahrensrecht sieht keinen Automatismus bei der Kostenverteilung in Familiensachen vor
Die "gesteigerte Erwerbsobliegenheit" trifft jene Elternteile, die getrennt von ihren Kindern leben und ihnen Kindesunterhalt schulden. Wie sie ihre Arbeitskraft in welchem Maße einzusetzen haben, um dieser Pflicht möglichst nachzukommen, zeigt das folgende Urteil, das vom Oberlandesgericht Bamberg (OLG) kürzlich getroffen wurde.
Ein 45-jähriger Vater hatte keine Berufsausbildung und arbeitete als ungelernte Kraft bei einer Leiharbeitsfirma - nicht in Vollzeit und nur knapp über Mindestlohn. Sein tatsächliches Einkommen reichte somit nicht für den Kindesunterhalt. In der Beschwerdeinstanz trug er zudem vor, er werde eine Ausbildung zum Fachlageristen beginnen und dann nur noch eine monatliche Ausbildungsvergütung von 580 EUR erhalten.
Dennoch verurteilte ihn das OLG Bamberg zum Unterhalt für seine Kinder - und das aus fiktivem Einkommen. Das Gericht erläuterte dem Vater, dass er sich intensiv - also mit allen Kräften und unter Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten - um die Erlangung eines hinreichend entlohnten Arbeitsplatzes zu bemühen habe. Bis zur gesetzlich zulässigen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden müsse er Nebentätigkeiten aufnehmen. Weil er schon 45 Jahre alt sei und auch bisher immer nur als ungelernte Kraft gearbeitet hatte, habe sein eigener Anspruch auf eine berufliche Erstausbildung ausnahmsweise nicht Vorrang. Das OLG rechnete aus, was der Vater mit 48 Wochenstunden verdienen würde, zog neben berufsbedingten Benzinkosten auch Benzinkosten ab, die er für die Abholung der Kinder zu den Umgangswochenenden hatte. Übrig blieben fiktive 300 EUR für zwei Kinder.
Hinweis: Die alleinerziehende Mutter kann Unterhaltsvorschuss beim Jugendamt beantragen - das ergibt für sie bei zwei Kindern mehr als 300 EUR. Das Jugendamt kann beim Vater nicht aus fiktivem Einkommen Regress nehmen. Das Verfahren ergibt wirtschaftlich also nur dann Sinn, wenn die Mutter mit einem neuen Partner zusammen wohnt und deshalb keinen Unterhaltsvorschuss bekommen kann.
Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 09.02.2022 - 7 UF 196/21
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Wenn man für sein Kind das Sorgerecht und den persönlichen Kontakt verliert, dann bleibt nur noch ein Recht aus § 1686 Bürgerliches Gesetzbuch, vom anderen Elternteil über sein Kind informiert zu werden. Doch auch dieses Recht kann verwirkt werden, so wie im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Bamberg (OLG).
Ein Vater wollte auf Basis des besagten Paragraphen ein aktuelles Foto seiner Kinder und die Zeugnisse der letzten fünf Jahre haben. Soweit verständlich - wenn man die Hintergründe nicht kennt, die zum Entzug des Sorgerechts und des persönlichen Kontakts führten. Denn in Fällen wie diesem hier kann sogar das Recht darauf verwirkt sein. Hier war der Vater nämlich wegen etlicher Fälle des sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornographie verurteilt worden - eines der Opfer war sogar die eigene Tochter gewesen. Die Mutter befürchtete daher nun, dass der Vater die Informationen, auf welche Schule die Kinder gehen und wie sie aussehen, nur begehre, um die Kinder nach seiner Haftentlassung aufzuspüren.
Das OLG lehnte den Antrag des Vaters daher ab - auch gestützt auf den Willen der 14 und 17 Jahre alten Kinder. Diese hatten sich in der erfolgten Anhörung gewünscht, dass der Vater nichts von ihnen wissen und sie in Ruhe lassen solle. Auf keinen Fall solle er die Fotos und Zeugnisse erhalten. Es müsse reichen, ihm mitzuteilen, dass es ihnen gut gehe. Dieser autonome und objektiv nachvollziehbare Wille der Kinder wurde angesichts ihres Alters als Ausdruck der Selbstbestimmung gewertet - und es erschien dem OLG zwingend, die Kinder zu respektieren.
Hinweis: Der Wille eines Jugendlichen, der altersentsprechend geistig reif ist, wird in der Praxis nur dann übergangen, wenn er offensichtlich das eigene Wohl gefährdet. Eine feste Altersgrenze, ab der Kinder über ein Verfahren "entscheiden" können, gibt es dabei nicht.
Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 14.03.2022 - 2 UF 28/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Besonders kleinen Kindern möchte man gerichtliche Anhörungen nachvollziehbarerweise gern ersparen. Dass in Familiensachen in den meisten Fällen jedoch kein Weg daran vorbeiführt, musste sich kürzlich das Amtsgericht Zweibrücken (AG) vom entsprechenden Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) sagen lassen.
Das AG hatte in einer Familiensache die Anhörung eines vierjährigen Kindes unterlassen, weil dieses bisher gar keinen Kontakt zum Vater hatte und sich das Gericht daher keine Erkenntnisse durch die Anhörung erhoffte.
Diese Vorwegnahme eines Ergebnisses war in Augen des OLG jedoch nicht zulässig. Nach dem Willen des Gesetzgebers muss ein Kind im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit erhalten, seine persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden zu lassen. Spätestens ab dem dritten Lebensjahr ist die Anhörung zwingend. Ebenso rügte das OLG, dass das AG den Umgang vorläufig für anderthalb Jahre ausschloss, weil der Vater in psychiatrischer Behandlung war. Ohne sachverständige Beratung zum Krankheitsbild und zu dessen Auswirkungen auf den Umgang durfte diese Entscheidung nicht getroffen werden. Außerdem hätte abgewogen werden müssen, ob eine Umgangsbegleitung möglich sei. Ein Umgangsausschluss darf stets nur das letzte Mittel sein. Somit verwies das OLG die Sache zur weiteren Aufklärung an das AG zurück.
Hinweis: Vielfach wird angenommen, dass die Eltern eine Kindesanhörung vermeiden können, wenn sie sich im Gerichtssaal einigen. Das geht aber nicht: Eine Einigung kann ohne Kindesanhörung nicht vom Familiengericht gebilligt werden. Im August 2021 ist die entsprechende gesetzliche Vorschrift nochmals strenger gefasst worden.
Quelle: OLG Zweibrücken, Urt. v. 20.01.2022 - 6 UF 132/21
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Wenn nichteheliche Lebensgemeinschaften auseinandergehen, ist der Streit um Geld und Haus nicht unbedingt kleiner als mit Trauschein. Das beweist der folgende Fall des Oberlandesgericht Brandenburg (OLG), der gleichsam aufzeigt, dass eine Eheschließung durchaus auch für den Trennungsfall von Vorteil sein kann.
Im Jahr 1982 hatte sich das Paar verlobt und 1985 sowie 1996 seine beiden Kinder bekommen. Geheiratet hatte es trotz seines einstigen Eheversprechens jedoch nie. 1993 hatten beide Partner zudem das Elternhaus des Mannes gekauft, und die Frau wurde Alleineigentümerin, um das Haus bei einer etwaigen Insolvenz des selbständig tätigen Mannes zu schützen. Die Frau unterschrieb allein den Kreditvertrag, der Mann bürgte aber für die Schuld und zahlte als Hauptverdiener die Kreditraten ab. 2014 kam es schließlich zur Trennung - mit einem solchen Streit, dass der Mann über ein Gewaltschutzverfahren des Hauses verwiesen wurde. Ende 2017 ging der Mann seinerseits zu Gericht und verlangte auf diesem Weg allerhand Auskünfte von der Frau, um zu berechnen, was ihm aus dem Haus zustehe. Es dauerte dann noch bis Anfang April 2020, bis dem Mann für das beabsichtigte Verfahren Verfahrenskostenhilfe (VKH) bewilligt wurde. Dann tat sich - gegebenenfalls wegen Corona - bis Dezember 2020 nichts, erst dann reichte der Mann seinen Auskunftsantrag zwecks Zustellung an die Gegenseite bei Gericht ein. Die Frau berief sich nun daraufhin auf Verjährung - und das erfolgreich.
Das OLG bestätigte, dass die Verjährungsfrist für die geltend gemachten Ansprüche - hier denkbar aus Gesellschaftsrecht, Wegfall der Geschäftsgrundlage und ungerechtfertigter Bereicherung - drei Jahre beträgt. Sie beginnt am 31.12. des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist - in diesem Fall durch das Scheitern der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit Ablauf des 31.12.2014 und Eintritt am 31.12.2017. Knapp davor hatte der Mann seinen ersten Antrag bei Gericht gestellt und damit die Verjährung erfolgreich gehemmt. Die Wirkung der Hemmung endete aber Anfang Oktober 2020, sechs Monate nach der abschließenden Entscheidung aus April 2020 über sein VKH-Gesuch (§ 204 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Die wenigen aus Dezember 2017 verbliebenen Verjährungstage liefen nun wieder an, und noch im Oktober 2020 trat die Verjährung endgültig ein. Sein Antrag aus Dezember 2020 konnte daher nichts mehr retten. Seine Rechtfertigung, er habe monatelang wegen der Corona-Pandemie keinen Kontakt zu seinem Rechtsanwalt gehabt, reichte dem OLG nicht als "triftiger Grund" für die Untätigkeit.
Hinweis: Unter Eheleuten beginnt die Verjährung erst mit der Scheidung zu laufen und ist bis dahin gehemmt. Die meisten der Ansprüche gegeneinander können im Scheidungsverbund geklärt werden. Eine Ehe hätte den Mann hier also vor einem solchen Rechtsverlust bewahrt, selbst wenn nach der Trennung jahrelang nichts unternommen worden wäre.
Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.02.2022 - 9 UF 128/21
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Wenn man vor Gericht gewinnt, muss die Gegenseite die Kosten erstatten. Von diesem Grundsatz wird am Familiengericht oft abgewichen. Der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Bremen (OLG) zu bewerten hatte, zeigt auf, warum das Fachgebiet in juristischen Familiensachen hier eine Ausnahme macht.
Die Eltern einer Zwölfjährigen waren sich uneins über deren COVID-19-Impfung gewesen. Der Vater wollte die Tochter impfen lassen und beantragte eine gerichtliche Entscheidung. Das Gericht klärte den Sachverhalt auf, hörte alle Beteiligten an - auch das Kind - und übertrug dem Vater die Alleinentscheidungsbefugnis über die Schutzimpfung. Die Kosten des Verfahrens sollten dann schließlich er und die Mutter je hälftig tragen. Dazu fehlte es dem Kindesvater an Einsicht. Er machte beim OLG geltend, dass das Verfahren notwendig gewesen sei, weil sich die Kindesmutter kategorisch der elterlichen Auseinandersetzung mit dem Thema verweigert habe und eine Haltung vertrete, die dem aktuellen Stand gängiger medizinischer Behandlung widerspreche. Die in der Sache getroffene Entscheidung folge in Gänze seinem Antrag. Es gehe seiner Ansicht nach nicht an, ihn für das unkommunikative Verhalten der Kindesmutter haftbar zu machen, indem er an den Kosten des Verfahrens beteiligt werde.
Sowohl die Vorinstanz als auch das OLG sahen das jedoch anders: Das Verfahrensrecht in Familiensachen sehe keinen Automatismus bei den Kosten vor, sondern eine Ermessensentscheidung. Es sei das gute Recht der Mutter gewesen, eine andere Position zur Frage der Impfung einzunehmen, ohne befürchten zu müssen, deshalb unter Umständen im Fall des Unterliegens bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung über dieses Thema stärker als der andere für die dadurch entstehenden Kosten herangezogen zu werden.
Hinweis: Dieser Grundsatz wird besonders teuer, wenn das Familiengericht Gutachten einholt. Schnell geht es da um fünfstellige Eurobeträge. Selbst wenn das Gutachten ergibt, dass der andere Elternteil sich fehlverhält oder gar erziehungsunfähig ist, zahlen in der Regel beide für diese Erkenntnis.
Quelle: OLG Bremen, Beschl. v. 09.02.2022 - 5 UF 5/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Zum Thema Mietrecht
- "Hausstrom" zu pauschal: Betriebskostenabrechnung darf keine intransparenten Mischpositionen enthalten
- Hochzeitsfeiern in Pandemiezeiten: BGH sieht kein Recht auf außerordentliche Kündigung, wenn Ersatztermine angeboten wurden
- Ladenmiete in Corona-Zeiten: Für unrentable Gastwirtschaft gibt es keine Vertragsanpassung wegen pandemiebedingter Lockdowns
- Nach anerkannter Klageforderung: Reicht der Vermieter zu früh Räumungsklage ein, trägt er die Verfahrenskosten allein
- Spiel, Satz, Glasbruch: Obhutspflicht gilt auch für eine angemietete Tennishalle
Welche Aufwendungen Vermieter über die Betriebskosten auf ihre Mieter abwälzen können, beschäftigt Mietrechtler und die Gerichte regelmäßig. Ob die Abrechnungsposition "Hausstrom" in einer Betriebskostenabrechnung umlegbar ist, musste das Amtsgericht Hamburg (AG) entscheiden.
Mieter und Vermieter des Falls stritten sich über eine Nachzahlung aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2018 für eine gemietete Wohnung in Hamburg. Der Mieter hielt unter anderem die Abrechnungsposition "Hausstrom" für unzulässig. Der Vermieter sah dies anders und klagte die ihm aus seiner Sicht zustehenden Beträge ein.
Das AG war jedoch auf der Seite des Mieters: Die Abrechnungsposition "Hausstrom" sei in der Tat formell unwirksam. Denn nach § 2 Nr. 11 Betriebskostenverordnung seien nur Stromkosten für die Beleuchtung umlagefähig. Die Abrechnungsposition "Hausstrom" könne dagegen auch andere Kostenarten enthalten - wie etwa den Stromverbrauch einer Gemeinschaftsanlage oder sonstige Verbrauchsstellen. Sie stelle damit eine potentiell intransparente und damit unzulässige Mischposition dar, die insbesondere für den Mieter nicht prüffähig sei. Sie lässt nicht erkennen, auf welche Verbrauchsstellen die umgelegten Stromkosten entfallen.
Hinweis: Streitigkeiten über Nebenkostenabrechnungen gibt es viele. Wer im Vorfeld auf Nummer sicher gehen will, fragt den Fachanwalt seines Vertrauens um Rat.
Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 03.03.2022 - 48 C 320/20
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Schon jetzt blicken wir oft seufzend auf die Zeit der Corona-Pandemie, was wir alles hätten machen wollen und nicht tun durften. Besonders ärgerlich waren die restriktiven Bestimmungen auch für Hochzeitspaare, deren Pläne zum "schönsten Tag im Leben" gegen die Wand fuhren. So war es nur eine Frage der Zeit, bis es darum gehen sollte, wie es sich mit Rückzahlungsansprüchen Veranstaltern gegenüber verhält. Dazu musste der Bundesgerichtshof (BGH) heran.
Ein Ehepaar heiratete 2018 standesamtlich und hatte seine Feier für den 01.05.2020 mit 70 Gästen geplant. Es hatte Räumlichkeiten für 2.600 EUR angemietet, die es auch bezahlte. Dann kam die Pandemie, und die Hochzeitsfeier konnte nicht durchgeführt werden. Nach der damals geltenden Coronaschutzverordnung im Land Nordrhein-Westfalen waren zu dem Zeitpunkt Veranstaltungen im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen untersagt worden. Allerdings hatten die Vermieter den Eheleuten andere alternative Termine angeboten. Schließlich baten die Eheleute im April 2020 um Rückzahlung der geleisteten Miete und erklärten gleichzeitig den Rücktritt vom Vertrag. Schließlich verlangten sie gerichtlich die Rückzahlung.
Der BGH war jedoch der Auffassung, dass die Räumlichkeiten letzten Endes zur Verfügung standen. Eine Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie erfolgte, stelle grundsätzlich keinen Mangel der Mietsache dar - deshalb gab es auch kein Recht auf Rücktritt oder zur außerordentlichen Kündigung für die Eheleute. Ebenso wenig kam eine Anpassung des Mietvertrags in Betracht, da die Vermieterin Ausweichtermine angeboten hatte.
Hinweis: Das Urteil wird dem Brautpaar nicht gefallen. Aber es war eben nicht nur das Brautpaar, das Einschränkungen wegen der Pandemie hinnehmen musste: Auch auf den Gaststättenbetreiber war bei der Gesamtschau Rücksicht zu nehmen.
Quelle: BGH, Urt. v. 02.03.2022 - XII ZR 36/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Durch die Corona-Lockdowns konnten viele Gewerbetreibende ihre Ladenmiete nicht mehr zahlen. In vielen Fällen war eine Vertragsanpassung auf etwa die halbe Miete in Betracht zu ziehen. Dass dies aber wie so oft eine Frage des Einzelfalls ist und nicht immer gilt, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Köln (AG).
Der Beklagte - hauptberuflich im öffentlichen Dienst beschäftigt - war Betreiber einer Gaststätte in der Kölner Altstadt. Dort verdiente er ca. 2.000 EUR netto. Im Jahr 2019 hatte er keinen Gewinn erwirtschaftet, sondern musste vielmehr einen Verlust in Höhe von rund 7.000 EUR verbuchen. Dann kam Corona, und im sogenannten zweiten Lockdown von Anfang November 2020 bis Ende Juni 2021 musste der Mann das Ladenlokal schließen. Ein Außerhausbetrieb war nicht möglich, da es sich um eine reine Schankwirtschaft handelte. Auf Staatshilfen hatte der Mann keinen Anspruch, da er das Lokal nur im Nebenerwerb betrieb. Seiner Vermieterin teilte er dann im Februar 2021 mit, er werde nur noch ein Drittel der Nettomiete bezahlen. Diese wollte sich das nicht gefallen lassen und klagte die restlichen Mieten ein.
Das AG gab der Vermieterin Recht. In Fällen, in denen der Mieter einer gewerblichen Immobilie bereits vor der Corona-Pandemie mit seinem Betrieb keine Gewinne erzielt habe, erfolgt keine Vertragsanpassung nach § 313 Bürgerliches Gesetzbuch. Insoweit muss vermieden werden, dass Betriebe durch Subventionen künstlich am Leben erhalten werden, ohne die ihr Geschäft nicht überlebensfähig wäre. Es bestünde sonst die Gefahr, dass sogenannte "Zombieunternehmen" entstünden.
Hinweis: Jeder Fall ist in diesem Bereich tatsächlich anders. Lassen Sie sich von dem Rechtsanwalt Ihres Vertrauens beraten. Es existiert mittlerweile eine ganze Fülle an Rechtsprechung rund um die Folgen der Corona-Pandemie und diesbezügliche Verordnungen.
Quelle: AG Köln, Urt. v. 10.02.2022 - 221 C 248/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Zwischen Ausspruch einer Kündigung einer Mietwohnung und dem tatsächlichen Beendigungsdatum können mehrere Monate liegen. Ob ein Vermieter bereits im Vorfeld eine Räumungsklage einreichen kann, war im folgenden Fall vom Landgericht Rostock (LG) zu beantworten.
Da ein Vermieter eine vermietete Wohnung gerne für sich selbst nutzen wollte, kündigte er im Januar 2021 unter Angabe eines Eigenbedarfsgrunds den Mietvertrag. Die Mieter reagierten darauf wie folgt: "Sie wissen, wir wissen, dass Sie sich mit dieser Kündigung auf sehr, sehr dünnem Eis bewegen (...)." Anfang März antwortete der Vermieter darauf mit den Worten: "Wenn Sie mir binnen 10 Tagen ab heute eine von Ihnen beiden unterschriebene schriftliche Erklärung geben, in der Sie die Kündigung anerkennen und zusagen, die Wohnung zum 31.1.2022 zu räumen und an mich herauszugeben, werde ich Ihnen einen Umzugskostenbeitrag von 300 EUR bis spätestens zum 15.2.2022 zahlen. Darüber hinaus brauchen Sie die Wohnung nicht zu renovieren, die Übergabe muss nur geräumt und besenrein erfolgen." Darauf antworteten die Mieter nicht mehr. Anfang April 2021 legte der Vermieter daraufhin eine Räumungsklage ein. Die Mieter erkannten die Klageforderung an und erklärten sich zur Räumung bis Ende Januar 2022 bereit. Das Amtsgericht erließ ein Anerkenntnisurteil. Die Kosten für das Verfahren sollte allerdings der Vermieter tragen. Damit war der aber gar nicht einverstanden und legte eine Beschwerde ein - vergeblich.
Denn das LG wandte ein, dass die Mieter die Klage schließlich sofort anerkannt hatten. Zudem hatten sie dem Kläger durch ihr Verhalten zuvor auch keine Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben. Bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist gegen die Kündigung - nämlich zwei Wochen vor dem Räumungstermin - muss der Mieter sich nicht zu der Räumung erklären.
Hinweis: Geht es um die Zwangsräumung einer Immobilie, sollten sowohl Vermieter als auch Mieter unbedingt weiteren rechtlichen Rat einholen.
Quelle: LG Rostock, Beschl. v. 18.01.2022 - 1 T 157/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Mietsachen sollten stets mit der gebotenen Vorsicht genutzt werden. Dass auch Tennisplätze eine solche Sorgfalt bei der Nutzung genießen sollten, zeigt der folgende Fall. Diesen konnte der Bundesgerichtshof (BGH) zwar nicht abschließend klären - dennoch zeigt die Sachlage deutlich, dass sich eine Haftpflichtversicherung lohnt. Denn auch Spaß und Freizeit können finanziell empfindliche Folgen nach sich ziehen, wenn am falschen Ende gespart wurde.
Ein Hobbytennisspieler hatte in der kalten Jahreszeit einen Tennisplatz in einer Halle gemietet. Die seitliche Außenlinie des Platzes verlief im Abstand von 2,50 m zur Außenwand der Tennishalle. Die Wand war komplett mit großformatigen Fenstern verglast. Im Verlauf des Spiels prallte nicht etwa der Ball, sondern gleich der ganze Tennisspieler gegen eine der Glasscheiben. Und die zerbrach. Die Reparaturkosten beliefen sich auf 2.300 EUR. Die Haftpflichtversicherung des Tennisspielers regulierte davon 800 EUR, weil ihrer Auffassung nach für die zerstörte Scheibe ein Abzug "neu für alt" vorgenommen werden müsse. Die Vermieterin der Tennishalle behauptet nun weiterhin, dass der Austausch der Scheibe sechs Wochen gedauert habe und in der Zwischenzeit der eine Tennisplatz nicht vermietbar gewesen sei. Dadurch sei ihr ein Gewinn von 6.300 EUR entgangen. Diesen Betrag und die restlichen Reparaturkosten klagte sie schließlich ein. Der Tennisspieler und seine Versicherung meinten dagegen, sie hätten die Schäden nicht zu vertreten, da sie nicht gegen Tennisregeln der International Tennis Federation (ITF) verstoßen hätten, die besagen, dass der Rückschläger auch außerhalb der Linien jede Position einnehmen dürfe. Mit dieser Argumentation kamen sie jedoch nicht weiter.
Es ging hier auch in Augen des BGH um eine vom vertragsgemäßen Gebrauch nicht gedeckte Beschädigung der Tennishalle. Der Umfang des vertragsgemäßen Gebrauchs richtet sich jeweils nach den konkreten vertraglichen Vereinbarungen und dem Vertragszweck. Hier war die Beschädigung vom vereinbarten Vertragszweck nicht gedeckt. Der BGH hat die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückverwiesen und dabei darauf hingewiesen, dass diese noch ein Mitverschulden der Vermieterin des Tennisplatzes zu prüfen habe, da der Abstand der Seitenlinie zur Außenwand sowie überhaupt das Vorhandensein einer Fensterverglasung rechtswidrig sein könnten.
Hinweis: Bei diesem Urteil handelt es sich sicherlich um einen Einzelfall. Trotzdem kann uns allen so etwas passieren. Eine private Haftpflichtversicherung ist deswegen immens wichtig, daher sollte jeder eine solche Versicherung haben.
Quelle: BGH, Urt. v. 02.02.2022 - XII ZR 46/21
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Zum Thema Verkehrsrecht
- "Geständiger" Fahrzeughalter: Fahrtenbuchauflage bei berechtigten Zweifeln zu Angaben im Anhörungsbogen rechtens
- Ausstellungsfahrzeug als "Neuwagen"? "Unbenutzt" ist ein Fahrzeug nur, wenn es nicht einmal Präsentationszwecken mit Kundenkontakt diente
- Handy beim Fahren: Verbotswidriges Halten eines Mobiltelefons gilt auch für dessen Positionierung auf dem Oberschenkel
- Integritätsinteresse gegeben: 130-%-Grenze gilt auch bei der Reparatur von Leasingfahrzeugen
- Vorrang eines Linienbusses: Verlassen der Haltestelle muss dem fließenden Verkehr durch rechtzeitiges Blinken angezeigt werden
Eine Fahrtenbuchauflage wird zumeist dann angeordnet, wenn durch behördliche Bemühungen nicht festgestellt werden konnte, wer den erfolgten Verkehrsverstoß begangen hat. Wie es sich aber mit einer solchen Maßnahme verhält, wenn es bei der Feststellung offensichtlich keinerlei Zweifel zu geben scheint, da der "Sünder" geständig ist, zeigt das folgende Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz (VG).
Mit dem Fahrzeug des Antragstellers wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb einer Ortschaft um (bereinigte) 28 Stundenkilometer überschritten. Der Antragsteller sandte den ihm dazu von der Bußgeldbehörde zugeleiteten Anhörungsbogen mit der Angabe zurück: "Ich gebe die Zuwiderhandlung zu." Unter Hinweis auf die Zweifel an der Täterschaft des Antragstellers schrieb die Bußgeldstelle diesen mehrfach mit der Bitte um Benennung des Fahrers an; eine inhaltliche Äußerung unterblieb jedoch. Das Bußgeldverfahren wurde daraufhin zwar eingestellt, in der Folge jedoch dem Antragsteller gegenüber das Führen eines Fahrtenbuchs für das Tatfahrzeug für die Dauer von zwölf Monaten mit Sofortvollzug angeordnet. Dagegen wandte sich der Mann mit einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs an das VG.
Das VG hat den Eilantrag abgelehnt. Die Bußgeldbehörde habe trotz aller angemessenen und zumutbaren Maßnahmen den Fahrzeugführer bei dem in Rede stehenden Verkehrsverstoß nicht ermitteln können. Der Antragsteller habe - angesichts des evidenten Abweichens des Ausweisfotos des Antragstellers von dem anlässlich des Verkehrsverstoßes erstellten Lichtbild des Fahrzeugführers - unrichtige Angaben gemacht, die geeignet gewesen seien, die Ermittlung des Täters zu verhindern. Dadurch noch verbliebene Ermittlungsansätze der Bußgeldbehörde seien ohne Erfolg gewesen. Insbesondere habe der Antragsteller auch auf Vorhalt, dass sein Tatbekenntnis nicht mit dem Fahrerfoto in Einklang zu bringen sei, keine weiteren Angaben gemacht. Nur mit dem Fahrerfoto allein sei es der Behörde unter dem Gesichtspunkt eines sachgerechten, erfolgversprechenden Aufwands jedoch nicht möglich gewesen, den Täter zu ermitteln.
Hinweis: Einem Fahrzeughalter kann das Führen eines Fahrtenbuchs aufgegeben werden, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer erheblichen Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften (bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung) nicht möglich gewesen sei. Die Fahrtenbuchauflage stelle eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, mit der dafür Sorge getragen werden solle, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften unter erleichterten Bedingungen möglich seien.
Quelle: VG Mainz, Beschl. v. 02.03.2022 - 3 L 68/22.MZ
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Wann ist ein neues Auto auch im rechtlichen Sinne noch ein neues Auto? Welche Kriterien genau erfüllt werden müssen, um ein bislang nicht zugelassenes Fahrzeug auch als Neuwagen anzusehen, musste im folgenden Fall eines Sportwagenkaufs das Amtsgericht München (AG) entscheiden.
Die Klägerin erwarb Ende 2019 einen Sportwagen mit einem Listenpreis von ca. 61.000 EUR für 54.600 EUR. Der Pkw, der bereits 2018 produziert worden war, befand sich zur Zeit des Kaufs in einer anderen Niederlassung des Verkäufers. Dort war der Sportwagen ausgestellt und konnte von Besuchern besichtigt werden. Zugelassen oder gefahren worden war das Fahrzeug nicht. Nach Übernahme des Fahrzeugs stellte die Klägerin Kratzer, kleinere Dellen und Abschürfungen fest und meinte nun, sie habe anstatt eines fabrikneuen ein gebrauchtes Fahrzeug erhalten. Sie forderte daher eine Minderung des Kaufpreises in Höhe von 5.000 EUR.
Das AG gab der Klägerin Recht und verurteilte den Verkäufer zur Zahlung einer Minderung des Kaufpreises. Der Pkw war nach Auffassung des Gerichts kein Neuwagen mehr. Das Gericht geht davon aus, dass ein "unbenutztes" Kraftfahrzeug nicht nur bedeutet, dass es - wie hier - noch nicht zugelassen bzw. noch nicht gefahren, sondern auch nicht anderweitig benutzt wurde. Bei Ausstellung eines Fahrzeugs in einer Niederlassung wird es jedenfalls von einer unbestimmten Anzahl von Personen innen und außen angefasst, Türen und Kofferraum werden vielfach geöffnet, es wird probegesessen, Sitze werden verstellt etc. Die klägerische Bezifferung der Minderung im Gerichtsverfahren mit 5.000 EUR erschien dem Gericht jedoch überhöht, und es hielt einen Betrag von 1.000 EUR für angemessen.
Hinweis: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein unbenutztes Kraftfahrzeug dann noch als "fabrikneu" betrachtet werden, wenn und solange das Modell unverändert weitergebaut wird, keine standzeitbedingten Mängel vorliegen und der Zeitraum zwischen Herstellung und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate beträgt.
Quelle: AG München, Urt. v. 17.12.2021 - 271 C 8389/21
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Was halten Sie von dem Begriff "halten"? Neben dem Sinn des "Anhaltens" womöglich das, was der Duden - zumindest auf den ersten Blick - sagt: "ergriffen, gefasst haben und nicht loslassen; festhalten". Das Bayerische Oberlandesgericht in München (BayObLG) fasst den Begriff jedoch weiter - und zwar in jenen Fällen, in denen ein Mobiltelefon am Steuer eine Rolle spielt. Und das hat damit zu tun, was die oberste Sprachinstanz auf den zweiten Blick zu der Begriffsbedeutung sagt.
Eine Autofahrerin hatte im zähfließenden Verkehr ihr Mobiltelefon auf ihrem rechten Oberschenkel abgelegt und kurz mit dem Finger die Wahlwiederholung angewählt - und wurde dabei erwischt. Einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a Straßenverkehrsordnung (StVO) durch die bloße Bedienung des auf dem Oberschenkel liegenden Mobiltelefons verneinte das folglich eingeschaltete Amtsgericht hingegen. Denn bei der Regelung des § 23 Abs. 1a Nr. 1 StVO handele es sich um ein "hand-held-Verbot" - also um ein Verbot des In-der-Hand-Haltens des Telefons. Und hier sei das Mobiltelefon schließlich weder aufgenommen noch gehalten worden.
Doch vom Wortsinn her bedeute "halten" nicht nur das Festhalten, sondern laut Duden und demnach auch nach Meinung des BayObLG auch das Bewirken, "dass etwas in seiner Lage, seiner Stellung oder Ähnlichem bleibt". Demnach liegt ein Halten nicht nur dann vor, wenn ein Gegenstand mit der Hand gegriffen, sondern etwa auch dann, wenn ein elektronisches Gerät bei der Nutzung zwischen Schulter und Ohr oder eben zwischen Oberschenkel und Lenkrad fixiert wird. Darüber hinaus ist ein Halten auch dann gegeben, wenn das Gerät in sonstiger Weise mit Hilfe der menschlichen Muskulatur in seiner Position bleibt. Ein Mobiltelefon kann während der Fahrt - verbunden mit den damit einhergehenden Geschwindigkeits- und Richtungsänderungen - nicht allein durch die Schwerkraft auf dem Schenkel verbleiben. Es bedarf vielmehr einer bewussten Kraftanstrengung, um die Auflagefläche so auszubalancieren, damit das Mobiltelefon nicht herunterfällt. Auch dieses durch menschliche Kraftanstrengung bewirkte Ausbalancieren unterfällt dem Begriff des Haltens.
Hinweis: § 23 Abs. 1 Satz 1 StVO verlangt, dass Sicht und Gehör des Fahrers während der Fahrt nicht beeinträchtigt sind. Dementsprechend erlaubt § 23 Abs. 1a StVO die Benutzung eines dort genannten elektronischen Geräts nur dann, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und entweder nur eine Sprachsteuerung oder eine Vorlesefunktion genutzt wird oder die Bedienung des Geräts nur eine kurze Blickzuwendung erfordert. Der Fahrer soll sich primär auf das Verkehrsgeschehen konzentrieren.
Quelle: BayObLG, Beschl. v. 10.01.2022 - 201 ObOWi 1507/21
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Ob ein Leasingnehmer - wie ein Eigentümer auch - sein Fahrzeug im Rahmen der 130-%-Grenze noch reparieren lassen darf oder sich auf eine Abrechnung auf Totalschadensbasis verweisen lassen muss, hatte das Oberlandesgericht Köln (OLG) zu beantworten.
Der im Gutachten veranschlagte Reparaturaufwand (Reparaturkosten zzgl. Wertminderung) des verunfallten Leasingfahrzeugs des Klägers betrug im konkreten Fall 103 % des ermittelten Wiederbeschaffungswerts. Der Kläger entschied sich - letztlich mit Zustimmung der Leasinggeberin - dazu, sein Fahrzeug gemäß den Vorgaben des Sachverständigengutachtens vollständig sach- und fachgerecht reparieren zu lassen. Auch die tatsächlichen Reparaturkosten gemäß Werkstattrechnung bewegten sich trotz leichter Ausweitung noch im Rahmen der 130-%- Grenze. Tatsächlich nutzte der Kläger das Fahrzeug dann auch noch für mehr als sechs weitere Monate. Die Haftpflichtversicherung des Schädigers regulierte dennoch nur den Wiederbeschaffungswert (abzüglich Restwert) und berief sich darauf, dass der Kläger als Leasingnehmer keinerlei sogenanntes Integritätsinteresse an dem Fahrzeug haben könne, da er dieses ohnehin zurückgeben müsse. Dies sah das OLG jedoch anders.
Auch bei einem Leasingnehmer bestehe laut OLG ein ähnlich schützenswertes Interesse an der weiteren Fahrzeugnutzung wie bei einem Eigentümer. Ebenso sei der Erhalt der Rechtspositionen schützenswert, die sich aus dem für eine konkrete Dauer abgeschlossenen Leasingvertrag ergibt. Dies beziehe mit ein, sich etwaigen Forderungen der Leasinggesellschaft durch eine vorzeitige Abrechnung nicht ausgesetzt sehen zu müssen.
Hinweis: Liegen die von einem Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über der 130-%-Grenze und gelingt es dem Geschädigten, eine fachgerechte Reparatur gemäß den Vorgaben des Gutachtens in einer freien Werkstatt durchführen zu lassen, kann der Geschädigte die konkret angefallenen Reparaturkosten ersetzt verlangen - sofern die Kosten unter Berücksichtigung des merkantilen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Für die Bestimmung der 130-%-Grenze kommt es darauf an, welchen Betrag der Geschädigte tatsächlich für eine fachgerechte Reparatur aufwenden musste.
Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 01.12.2021 - 21 U 55/21
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
In jedem Berufsleben gibt es Tätigkeiten, die einem in Fleisch und Blut übergegangen sind - einfach deshalb, weil sie routinemäßig zum Tagesgeschäft gehören. Dass es Berufkraftfahrern jedoch stets angeraten ist, selbst die augenscheinlich profansten Abläufe konzentriert auszuüben, zeigt der Fall des Oberlandesgerichts Celle (OLG).
Zu dem Verkehrsunfall kam es, als ein Linienbus von einer Haltestelle nach links in den fließenden Verkehr einfahren wollte und folglich mit einem Pkw zusammenstieß. Dessen Fahrer erhob gegen das Busunternehmen schließlich Schadensersatzklage, und es entstand ein Streit darüber, ob der Busfahrer das Einfahren in den fließenden Verkehr rechtzeitig durch den Blinker angezeigt hatte oder nicht.
Das OLG entschied zum Teil zugunsten des Klägers. Es spreche ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Linienbusfahrer den Unfall - überwiegend - verschuldet hat. Denn dieser hat nicht nachweisen können, dass er seine Absicht, nach links in den fließenden Verkehr einzubiegen, durch den Fahrtrichtungsanzeiger angekündigt hatte. Damit habe nicht bewiesen werden können, dass dem Busfahrer ein Vorrecht zugestanden hat. Der Vorrang des Linienbusses besteht in der Tat erst dann, wenn der Fahrer des Busses sein Vorhaben ordnungsgemäß und rechtzeitig angezeigt hat. Eine Mithaftung des Klägers nahm das Gericht in Höhe von 25 % aus der Betriebsgefahr an.
Hinweis: Gemäß § 10 Satz 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) muss sich der Einfahrende vom Fahrbahnrand auf eine Fahrbahn so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Vorrang des fließenden Verkehrs gilt grundsätzlich auch gegenüber dem Fahrer eines Omnibusses des Linienverkehrs. Um derartigen Fahrzeugen, die an feste Fahrpläne und an die Einhaltung bestimmter Fahrzeiten gebunden sind, aber das Anfahren und Einordnen in den fließenden Verkehr zur Sicherstellung der zeitlichen Vorgaben zu erleichtern, bestimmt § 20 Abs. 5 StVO, dass diesen das Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen ist und andere Fahrzeuge, wenn nötig, warten müssen. Diese Einschränkung des Vorrangs des fließenden Verkehrs gilt aber erst dann, wenn der Fahrer eines Omnibusses des Linienverkehrs sein Vorhaben ordnungsgemäß und rechtzeitig angezeigt hat.
Quelle: OLG Celle, Urt. v. 10.11.2021 - 14 U 96/21
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Zum Thema Sonstiges
- BGH zu Influencerwerbung: Präsentation geschenkter Produkte ist Werbung - die Präsentation selbsterworbener Ware nicht
- Dreimonatige "Verspätung": Neben dem geltenden Anspruch auf Ausgleichsleistung sind Ersatzflüge nicht erstattungsfähig
- Soziale Netzwerke: Nicht rechtswidrige Kommentare dürfen nicht zur Löschung und zu beschränkten Nutzungsrechten führen
- Spiel, Satz, Corona: Tennisclub schafft Klassenerhalt wegen gegnerischen Verstoßes gegen die Corona-Einreise-Verordnung
- Umgewehtes Baustellenschild: Ohne maßgebliche Verletzung von Sicherheitsvorschriften muss Kommune nicht haften
Zum wiederholten Mal hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Problematik von Werbung durch Influencer beschäftigen müssen. Dass immer dann, wenn es um Werbung geht, dies auch gesagt werden muss, wurde bereits geklärt. Doch es bleibt die Frage, wann ist das positive Erwähnen fremder Produkte denn nun Werbung bzw. kommerzielle Werbung - und wann nicht?
Eine Bloggerin hat ein eigenes Profilkonto auf den Social-Media-Plattformen Instagram und YouTube mit jeweils einer hohen sechsstelligen Anzahl von Abonnenten und Seitenaufrufen. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit Blogs, hat einen Manager beauftragt und erzielt jährlich sechsstellige Umsätze. Überwiegend ist sie im Bereich Mode und Lebensstil tätig, verbreitet aber auch Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen. Schließlich präsentierte sie auf Instagram unter anderem Ohrringe, die ihr zuvor von einem Hersteller geschenkt worden waren. Zudem präsentierte sie Kleidung des Herstellers, die sie sich selbst gekauft hatte. Die Modeartikel und -accessoires waren mit elektronischen Markierungen - sogenannten Tap Tags - versehen, aus denen die Namen der Hersteller von Bekleidung oder der Erbringer von Dienstleistungen wie Fotoshootings oder Körperstyling hervorgingen. Beim Anklicken wurden Nutzer auf die jeweiligen Profilseiten dieser Unternehmen geführt. Das Problem daran: Die Bloggerin wies nicht darauf hin, dass es sich um Werbung handelte. Deshalb war sie bereits ein Jahr zuvor vom Verband Sozialer Wettbewerb e.V. abgemahnt worden und hatte auch eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben. Der Verband forderte nun die Unterlassung sowie die Zahlung einer Vertragsstrafe. Dagegen ging die Bloggerin vor - vergeblich.
Fördert eine Influencerin durch einen Bericht über Waren oder Dienstleistungen in sozialen Medien - wie hier auf Instagram - den Absatz eines fremden Unternehmens, handelt es sich auch in Augen des BGH um kommerzielle Kommunikation. Das gilt auch dann, wenn ihr die Waren oder Dienstleistungen von dem durch den Bericht begünstigten Unternehmen kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Anders sah es mit der gekauften Kleidung aus: Das stellte weder eine kommerzielle Kommunikation noch Werbung dar.
Hinweis: Die Präsentation von selbstgekaufter Kleidung ist also keine kommerzielle Kommunikation und auch keine Werbung. Anders sieht es eben dann aus, wenn Ware kostenlos zur Verfügung gestellt und der Verkauf bei einem Unternehmen dadurch gefördert wird.
Quelle: BGH, Urt. v. 13.01.2022 - I ZR 35/21
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Ist ein Flug verspätet oder fällt er ganz aus, gibt es Entschädigungsleistungen. Zu dieser Problematik hat nun das Landgericht Frankfurt am Main (LG) ein neues Urteil gefällt. Knackpunkt war hierbei, dass der Kläger nicht nur eine Ausgleichsleistung verlangte, sondern zudem Ersatz für die Kosten von Alternativflügen und Unterbringung.
Mehrere Personen hatten Flüge von Frankfurt nach Doha mit Anschlüssen nach Perth und weiter nach Cairns in Australien gebucht. Die Fluggesellschaft stornierte im Juni 2021 die Buchung der Flüge aufgrund zu geringer Auslastung und bot Ersatzflüge für den September an. Die Reisenden buchten stattdessen jedoch Ersatzflüge bei einer anderen Fluggesellschaft, für die sie deutlich mehr bezahlten. Schließlich beauftragte der Kläger für die Geltendmachung der Forderung einen Prozessbevollmächtigten - die Sache landete vor dem LG.
Das LG gab den Reisenden teilweise recht. Muss eine Fluggesellschaft wegen geringer Beförderungskapazitäten einen Flug nach Australien stornieren und kann sie einen Ersatzflug erst drei Monate später anbieten, hat der Fluggast einen Anspruch auf Ausgleichsleistung von 600 EUR pro Person. Dass die Reduzierung der Kapazität der zu befördernden Personen auf einer Anordnung der australischen Behörden beruhte, stand dem nicht entgegen. Was das Unternehmen nicht zahlen musste, waren die Kosten einer Ersatzbeförderung, die dadurch entstanden sind, dass die Fluggäste nicht bis zu dem angebotenen Zeitpunkt warten wollten.
Hinweis: Ist ein Flug verspätet, sollte das genau protokolliert werden. Häufig kommt es sogar darauf an, wann die Türen des Flugzeugs geöffnet wurden. Betroffene sollten entsprechende Beweise sichern, beispielsweise durch das Anfertigen eines Protokolls oder das Fertigen von Bildern.
LG Frankfurt a.M., Urt. v. 20.01.2022 - 2-24 O 137/21
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Welche Rechte einserseits die Nutzer und andererseits die Betreiber von sozialen Netzwerken haben, war hier bereits öfters Thema. Im Folgenden wandte sich ein User an das Oberlandesgericht Celle (OLG), da von ihn gepostete Inhalte vom Betreiber gelöscht und daraufhin zudem seine Kontofunktionen eingeschränkt wurden.
Der Kläger hatte in einem sozialen Netzwerk über ein neues Gesetz des US-Bundesstaats New York zum Schwangerschaftsabbruch Folgendes kommentiert: "die Amis sind einfach nur pervers, und haben spaß am morden echt furchtbar" kommentiert. Außerdem postete er das Wort "umfahren" zu einer Straftat, die durch einen Afrikaner begangen wurde. Daraufhin löschte das soziale Netzwerk die Kommentare und schränkte die Nutzungsrechte des Mannes vorübergehend ein. Der klagte dagegen an - denn aus seiner Sicht gab es kein Recht zur Löschung der Beiträge, da die Nutzungsbedingungen nach einer älteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs unwirksam waren.
Mit dieser Argumentation kam der Mann vor dem OLG auch weiter. Denn ein Recht zur Löschung nicht rechtswidriger Beiträge könnte auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung ermittelt werden. Insbesondere eine Strafbarkeit der Beiträge lag nach Ansicht des Gerichts nicht vor.
Hinweis: Es ist in den vergangenen Jahren viel Rechtsprechung zu diesem Problemkreis ergangen. Der Rechtsanwalt Ihres Vertrauens wird Ihnen genau sagen können, welche Erfolgsaussichten Sie haben, wenn Sie gegen Facebook, Twitter und Co. vorgehen wollen.
Quelle: OLG Celle, Urt. v. 20.01.2022 - 13 U 84/19
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Verstöße gegen die Corona-Bestimmungen können bekanntermaßen empfindlich geahndet werden. Doch neben den persönlichen Folgen kann ein solcher Verstoß auch weitere Rechtsfolgen nach sich ziehen - so wie im Fall des Landgerichts Hamburg (LG), der sich um die Nichteinhaltung der seinerzeit geltenden Einreiseverordnungen in der Pandemie drehte.
Ein Tennisverein drohte aus der 2. Bundesliga Süd abzusteigen. Im entscheidenden Spiel hatte der Gegner einen Spieler aufgeboten, der sich noch kurz vor dem Spiel in einem Hochinzidenzgebiet - nämlich in Spanien - aufgehalten hatte. Nach der damals geltenden Corona-Einreise-Verordnung hätte sich eben jener Spieler in die Quarantäne begeben müssen, statt den Ball schlagen zu dürfen. Als der abstiegsbedrohte Tennisverein das mitbekam, legte er Einspruch gegen die Wertung des Matchs ein. Der Einspruch wurde jedoch vom Sportgericht des Deutschen Tennisbunds zurückgewiesen. Daraufhin zog der Tennisverein vor das LG.
Das LG entschied zunächst, dass eine Entscheidung des Sportgerichts durch die ordentliche Gerichtsbarkeit überprüft werden kann. Und diese Überprüfung ergab, dass der gegnerische Spieler offensichtlich nicht spielfähig und damit auch nicht spielberechtigt war. Da das Spiel unter derartigen Umständen nicht gewertet werden durfte, stieg der Tennisclub infolgedessen auch nicht aus der 2. Bundesliga Süd ab.
Hinweis: Wer ein Bußgeld oder Ähnliches wegen eines Verstoßes gegen Corona-Bestimmungen erhalten hat, sollte dieses von einem Rechtsanwalt prüfen lassen. Viele solcher Bußgeldbescheide sind rechtswidrig.
Quelle: LG Hamburg, Urt. v. 24.01.2022 - 313 T 2/22
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 05/2022)
Die Sturmgefahr wird in Deutschland immer größer. Deshalb gibt es auch immer mehr Urteile, die sich mit diesem Problemkreis befassen. In diesem Fall des Landgerichts Köln (LG) ging es um ein umgestürztes Baustellenschild und die Frage, ob die Stadt für einen dadurch entstandenen Schaden haften muss.
Ein Mann hatte sein Fahrzeug am Vorabend eines Sturms mit der Windstärke 11 vor seinem Haus in Köln in einer Parkbucht abgestellt. An dieser Stelle hatte jedoch einige Wochen zuvor eine von der Stadt Köln beauftragte Firma Arbeiten auf der Fahrbahn durchführen lassen. In diesem Zusammenhang veranlasste das Unternehmen selbst die Aufstellung und die Entfernung der Baustellenschilder. Ein Baustellenschild war nun durch den Sturm umgefallen und hatte das Fahrzeug des Klägers beschädigt. Die Reparatur- und Gutachterkosten beliefen sich auf knapp 3.000 EUR. Dieses Geld verlangte er nun von der Stadt Köln erstattet.
Das LG sah das jedoch anders. Wird ein Verkehrsschild durch einen Sturm umgerissen und fällt auf das Auto eines Anwohners, muss die Kommune, die das Aufstellen des Schilds angeordnet hatte, nicht zwangsläufig für den Schaden an dem Auto aufkommen. Dies gilt vor allem, wenn die maßgeblichen Sicherheitsvorschriften, wie im konkreten Fall, eingehalten worden waren. Der Mann bekam also seinen Schaden nicht ersetzt.
Hinweis: Jeder Fall in diesem Bereich ist anders zu beurteilen. Ob Sicherheitsvorschriften tatsächlich eingehalten wurden oder nicht, kann im Zweifelsfall der Rechtsanwalt oder ein Sachverständiger feststellen.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 11.02.2022 - 5 O 313/19
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 05/2022)