Auf dieser Seite finden Sie aktuelle Mandanteninformationen. Wenn Sie recherchieren oder ältere Ausgaben betrachten möchten, können Sie hier unser Archiv aufrufen.
Zum Thema Familienrecht
- Eheschließungserklärung: Onlineform der Eheschließung in Deutschland nicht wirksam
- Orientierung am Kindeswohl: Familiengericht muss ermitteln, bis es fundiert entscheiden kann
- Richteramt missbraucht: BGH bestätigt Urteil gegen Thüringer Familienrichter wegen Rechtsbeugung
- Verfahrensbeistand: Mehr als die Fallpauschale gibt es in Sachen Verfahrenskosten nicht
- Zur Wahrheitsfindung: Ergänzungspflegschaft ist auch bei möglicher Interessenkollision geboten
Eheschließungserklärungen sind auch in Deutschland möglich. Sie müssen aber von den Eheschließenden vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegeben werden. Eine von Deutschland aus per Videotelefonie vor einem Standesbeamten in den USA geschlossene Ehe ist in Deutschland hingegen unwirksam, wie diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt.
Zwei nigerianische Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland schlossen im Mai 2021 per Videotelefonie die Ehe vor einer US-amerikanischen Behörde im Bundesstaat Utah. Die Eheleute befanden sich während der Eheschließung in Deutschland. Ihre Erklärungen gaben sie über eine zeitgleiche Übertragung in Bild und Ton gegenüber der Behörde in Utah ab und erhielten anschließend eine amerikanische Eheurkunde mit Apostille (eine Beglaubigungsform im internationalen Urkundenverkehr). Als die beiden nun auch in Deutschland heiraten wollten, wurde die amerikanische Eheschließung durch das Amtsgericht als unwirksam bezeichnet. Dagegen legten die Männer Beschwerde ein.
Sie unterlagen vor dem BGH, denn Art. 13 Abs. 4 Satz 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch besagt, dass eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden könne. Demnach müssen die Erklärungen der Eheschließenden vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegeben werden. Bei einer Eheschließung im Ausland könne auch das gegebenenfalls weniger strenge Recht des Eheschließungsorts angewendet werden. Da im vorliegenden Fall die Eheschließungserklärungen jedoch in Deutschland abgegeben wurden, kann nur deutsches Recht zur Anwendung kommen und damit auch die in Deutschland vorgeschriebene Form. Da sich die Eheleute nicht daran gehalten hatten, ist die Ehe nun unwirksam.
Hinweis: Will man heiraten oder andere Rechtsgeschäfte tätigen, sollte man sich immer nach den Formvorschriften des Orts des gewöhnlichen Aufenthalts richten. So geht man bei der Anerkennung des Rechtsgeschäfts auf Nummer sicher!
Quelle: BGH, Beschl. v. 25.09.2024 - XII ZB 244/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Für ein Familiengericht muss das Kindeswohl an oberster Stelle stehen. Unterlässt es ein Gericht, Ergebnisse aus seiner Amtsermittlungspflicht heraus als Basis für eine fundierte Entscheidung vorzulegen, muss es nochmals ran - so wie das Landgericht (LG) nach einer entsprechenden Entscheidung des nachfolgenden Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG).
Eine Serbin und ein Deutscher haben drei gemeinsame Kinder. Als die Eltern sich trennten, blieben die Kinder zunächst beim Vater. Dann wollte die Mutter die Kinder wieder bei sich haben und klagte dies auch ein. Sie beschuldigte den Vater der generellen Gewalttätigkeit, des Drogenkonsums sowie der Vergewaltigung. Er habe bereits 1.000 EUR Strafen zahlen müssen und auch seinen Führerschein verloren. Der Vater wiederum beschuldigte die Mutter, dass diese keinen Tagesablauf regeln könne, toxisch sei und sie die Kinder nicht in den Kindergarten bringe. Das Ganze mündete in einer Scheidung und einem streitigen Verfahren um das Sorge- und Umgangsrecht.
Hier wurden die Kinder zunächst der Mutter zugesprochen, doch der Vater wollte das nicht auf sich sitzen lassen, so dass der Fall schließlich beim OLG landete. Dieses entschied aber nicht, sondern verwies den Rechtsstreit wieder zurück an das LG, das seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen sei. Familiengerichte müssen den Sachverhalt nämlich so weit aufklären, dass er eine möglichst zuverlässige Tatsachengrundlage bildet. Erst aufgrund derer könne dann eine am Wohl des Kindes orientierte Entscheidung getroffen werden. Bei Entscheidungen von großer Tragweite - wie der zum Aufenthalt des Kindes - kann auch die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens erforderlich sein. Wurde dieses nicht eingeholt, kann die Sache zurückverwiesen werden.
Hinweis: Geht es bei Ihnen auch um derart existentielle Entscheidungen, dann achten Sie darauf, dass das Gericht alle möglichen Aufklärungsmaßnahmen ausschöpft, bevor es entscheidet. Tut es das nicht, dann regen Sie die weitere Aufklärung an.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.10.2024 - 20 UF 63/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Auch wenn die Corona-Pandemie vorüber scheint - die Gerichte beschäftigt sie aber noch immer und womöglich noch länger. Lang erwartet wurde die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu einem im August 2023 ergangenen Urteil über einen Familienrichter, der sein Amt dazu benutzt hatte, dass Corona-Schutzmaßnahmen in Schulen nicht durchgesetzt werden können.
Der Familienrichter erließ im April 2021 eine einstweilige Anordnung, die es den Leitungen und Lehrkräften zweier Weimarer Schulen untersagte, einzelne der seinerzeit geltenden Maßnahmen des Infektionsschutzes zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 gegenüber den dort unterrichteten Kindern durchzusetzen. Die Entscheidung des Richters war wohlvorbereitet. Schon Anfang 2021 hatte er die Absicht zu dieser Entscheidung gefasst und zielgerichtet dafür gesorgt, dass diese Verfahren in seinem Zuständigkeitsbereich landen. Sonst hätte die Gefahr bestanden, dass ein anderer Richter entscheidet, und das nicht in seinem Sinne. Der Familienrichter wollte "seine" Entscheidung auf Biegen und Brechen treffen.
Der BGH bestätigte das ergangene Urteil des Landgerichts Erfurt (LG), da der Richter sein Richteramt zielgerichtet benutzt und missbraucht hatte. Er hatte sogar über seine private E-Mail-Adresse Kontakt zu Gutachtern aufgenommen, die seine Meinung zur Pandemie stützten. Diese habe er dann im Verfahren eingesetzt, um seine Anordnung treffen zu können. Das ist Rechtsbeugung. Somit hat das Urteil des LG vor dem BGH Bestand, mit dem der Angeklagte wegen Rechtsbeugung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war.
Hinweis: Das Handeln des Richters zeugt von einiger krimineller Energie. Sollte in Ihrem Verfahren ein Richter wesentliche Verfahrensgrundsätze außer Acht lassen, offensichtlich eigene Ziele verfolgen oder "blind" zu einer Seite tendieren, dann lehnen Sie ihn ab! Sie haben ein Recht auf eine neutrale Verfahrensleitung, dies muss eingefordert werden! Gerade, wenn es um Kinder geht, darf die Justiz nicht ihre eigenen Wege gehen!
Quelle: BGH, Urt. v. 20.11.2024 - 2 StR 54/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
In familienrechtlichen Verfahren kann es angezeigt sein, einen Verfahrensbeistand zu bestellen. Dieser erhält als Vergütung eine gesetzlich vorgesehene Fallpauschale. Kann dieser, wenn er in seiner Funktion als Beistand selbst etwas verauslagt, das dann on top erhalten? Meistens nicht, wie der folgende Fall zeigt, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.
In einem familienrechtlichen Verfahren wurde ein Verfahrensbeistand für eine Frau bestellt. Diese war Araberin und sprach schlecht Deutsch, so dass der Beistand einen Dolmetscher engagierte. Das war aus richterlicher Sicht auch angezeigt. Der Dolmetscher stellte schließlich 207 EUR in Rechnung, die der Verfahrensbeistand auch beglich. Natürlich machte er die 207 EUR neben seiner gesetzlichen Vergütung dann auch geltend und beantragte die Festsetzung seiner Beistandskosten und der Auslage als zusätzliche Kosten. Damit scheiterte er jedoch vor dem BGH.
Der Vergütungsanspruch des berufsmäßigen Verfahrensbeistands ist laut § 158c Abs. 1 Satz 1 und 2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheitend der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt. Der Verfahrensbeistand erhält demnach eine Pauschale, die auch die Aufwendungen des Verfahrensbeistands umfasst - seine Fahrtkosten, aber auch etwaige Dolmetscherkosten für Gespräche mit dem Kind und/oder seinen Eltern. Ein Verfahrensbeistand muss mit seinen "Schützlingen" schließlich sprechen können. Daher ist es grundsätzlich bei Sprachbarrieren geboten, einen Dolmetscher zu engagieren. Da die Kommunikation aber Hauptaufgabe des Beistands ist, ist es auch gerechtfertigt, die Kommunikationskosten über die Pauschale abzugelten. Sonst würde man die Kosten "durch die Hintertür" zu Gerichtskosten machen können.
Hinweis: Prüfen Sie immer genau, was Ihr Beistand abrechnet. Nur so vermeiden Sie es, dass die Kostenlast versteckt über vermeintliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder eines anderen Sachverständigen in die Höhe getrieben wird.
Quelle: BGH, Beschl. v. 25.09.2024 - XII ZB 110/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Besteht zwischen Vormund und Mündel ein Interessengegensatz, kann dem Vormund die Vormundschaft entzogen werden (§ 1789 Abs. 2 Satz 4 Bürgerliches Gesetzbuch) - und zwar ganz oder teilweise. Dieses Urteil, in dem das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) die diesbezügliche Entscheidung der Vorinstanz bestätigte, zeigt deutlich, wann und warum dies angebracht sein kann.
Strittig war hier die Vertretungsbefugnis einer Kindsmutter. Sie wollte die Entscheidung für ihr 14-jähriges Kind treffen, ob sich dieses in einem Verfahren gegen seinen Vater als Nebenkläger anschließt. Dem Kindsvater wurde der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes gemacht. Das Amtsgericht (AG) setzte daher eine Ergänzungspflegschaft für die Frage des Anschlusses als Nebenklägerin im Strafverfahren gegen den Vater und gegebenenfalls zur Vertretung der Nebenklage im Strafverfahren ein. Das AG begründete dies damit, dass auch zwischen Mutter und Kind ein Interessengegensatz in dieser Frage nicht ausgeschlossen werden könne.
Die Entscheidung des AG wurde vor dem OLG bestätigt. Entscheidend für die Frage der Ergänzungspflegschaft ist es, ob ein erheblicher Interessengegensatz tatsächlich bestehe oder zumindest ernsthaft drohe. Hier kann eine Interessenkollision zum Beispiel deswegen bestehen, weil der Vater erstinstanzlich freigesprochen wurde, die Mutter den Vater dabei schwer belastet hatte und in der ersten Instanz Verfahrensfehler angemahnt wurden. Dennoch könne sich das Kind aber Umgang mit seinem Vater wünschen und eigene Angaben zum Tatvorwurf machen wollen. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Loyalitätskonflikt des Kindes in Bezug auf die Erwartungen der Mutter bestehe. Diese Möglichkeiten bergen die Gefahr, dass das Kind unter dem Druck der Mutter im Verfahren eben das sagt, was die Mutter hören wolle. Diesem Konflikt wollte das AG entgegenwirken, und das OLG gab diesen Bedenken recht.
Hinweis: Es kommt immer auf die Sicht des Mündels an. Können hier Konflikte entstehen, Drucksituationen oder gar Ängste geschürt werden, ist eine Pflegschaft anzudenken. So kann jeder neutral und unbefangen agieren. Dies wiederum dient in gerichtlichen Verfahren der Wahrheitsfindung. Nur so können gerechte Urteile und Beschlüsse gefällt werden.
Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 20.11.2024 - 2 WF 121/24 e
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Zum Thema Mietrecht
- Der gekündigte Maklervertrag: Anteilig berechnete Bürokosten führen zur Gesamtunwirksamkeit des vereinbarten Aufwendungsersatzes
- Kein Auszug bei Modernisierung: Wer zur Duldung verurteilt wurde, darf sich meist auf passives Zulassen von Maßnahmen beschränken
- Kein hölzerner Flickenteppich: Materialprobleme machen Komplettaustausch von Parkett nach Wasserschaden unumgänglich
- Optische Beeinträchtigung: Entfernen von Strandkorb und Wäschespinne aus Gemeinschaftsgarten durchgesetzt
- Wohnungseigentümerversammlung online: Wahl von Hard- und Software darf in Absprache mit dem Beirat der Verwaltung überlassen werden
Prinzipiell kann ein Kunde einen Maklervertrag jederzeit kündigen. Die Frage, die dann jedoch zumeist im Raum steht, ist, ob und - wenn ja - welche Vergütung der Makler dann noch erhält. Die Antworten darauf hat nun das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) gegeben.
Ein Mann beauftragte eine Immobilienmaklerin mit der Vermarktung seines Einfamilienhauses im Hintertaunus zum Angebotspreis von 695.000 EUR. Nach Nr. 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Maklervertrags war der Auftraggeber bei eventueller Aufgabe seiner Verkaufsabsichten zu einem Aufwendungsersatz verpflichtet. Zu diesen erstattungspflichtigen Aufwendungen sollten auch anteilige Bürokosten zählen. Nach vier Monaten kam es tatsächlich zur Kündigung, als der Mann der Maklerin mitteilte, dass das Haus doch nicht kurzfristig verkauft werden solle. Die Maklerin stellte ihm daraufhin 11.450 EUR in Rechnung, wovon 280 EUR auf "Fremdkosten laut Aufstellung" und der übrige Betrag auf Arbeitsstunden entfallen seien. Hierauf zahlte der Mann 6.280 EUR, die er nun mit einer Klage doch zurückverlangte - und zwar zu Recht.
Die Nr. 6 der AGB des Maklervertrags (Aufwendungsersatz für anteilige Bürokosten) war in Augen des OLG unwirksam. Die Regelung benachteiligte den Vertragspartner unangemessen. Zwar kann eine Pflicht des Maklerkunden zum Aufwendungsersatz grundsätzlich in den AGB vereinbart werden - sie muss sich dann aber wirklich und ausschließlich auf den Ersatz des konkreten Aufwands beziehen. Eine darüber hinausgehende Pflicht zum Aufwendungsersatz lässt sich in AGB nicht wirksam vereinbaren. Grundsätzlich ist beim Maklervertrag die Provision vom Erfolg der Tätigkeit abhängig. Wird im Gewand des Aufwendungsersatzes in Wahrheit eine erfolgsunabhängige Provision vereinbart, widerspricht dies dem Leitbild - die Regelung ist damit unwirksam. Die Unwirksamkeit der Belastung mit anteiligen Bürokosten führte hier zur Gesamtunwirksamkeit der Vereinbarung über den Aufwendungsersatz. Andernfalls wäre es einem Makler möglich, risikolos rechtlich nicht geschuldete Positionen abzurechnen in der Hoffnung, dass zumindest ein Teil der Kunden hierauf eine Zahlung leistet.
Hinweis: Wer überraschende Klauseln in seinem Vertragswerk benutzt, sollte sicherstellen, dass diese Klauseln auch rechtmäßig sind. Andernfalls muss er damit rechnen, dass dieser Fehler sehr teuer werden kann. Ob Vertragsklauseln wirksam sind oder nicht, prüft der Anwalt des Vertrauens.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 23.10.2024 - 19 U 134/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten müssen in den meisten Fällen seitens der Mieter geduldet werden. Natürlich kann man nicht alle Maßnahmen einfach passiv ertragen, wenn man mitten im anfallenden Chaos leben muss. Die Frage aber, ob ein Mieter währenddessen auch zum Auszug gezwungen werden kann, wenn er bereits zur Duldung von Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten verurteilt wurde, musste das Landgericht Berlin II (LG) entscheiden.
Im Jahr 2021 war der Mieter zur Duldung mehrerer Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten verurteilt worden. Das Gericht hatte ihn verpflichtet, den von der Vermieterin beauftragten Handwerkern den Zutritt zur Ausführung der Arbeiten jeweils nach entsprechender rechtzeitiger Ankündigung vom Montag bis Freitag im Zeitraum zwischen 7 und 18 Uhr zu gewähren. Mit mehreren Schreiben forderte die Vermieterin den Mieter zwischen Juli und September 2023 auf, für Baufreiheit zu sorgen und das Haus zu räumen, da die Bewohnbarkeit der Immobilie in der Zeit der Bauphase nicht gegeben sei. Der Mieter erwiderte hingegen, dass er nur zur Duldung und Zutrittsgewährung, nicht jedoch zur vorübergehenden Räumung verurteilt worden sei. Daraufhin legte die Vermieterin eine Räumungsklage ein.
Die Klage wurde vor dem LG abgewiesen. Der im Gesetz verwendete Begriff der Duldung erfasse kein aktives Handeln, sondern beschränke sich auf ein passives Zulassen der Maßnahmen und die Gewährung von Zutritt. Ein zur Duldung von Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten verpflichteter Mieter muss das Mietobjekt während der Bauarbeiten nicht auf bloßes Verlangen des Vermieters räumen. Dies komme höchstens unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht - etwa dann, wenn die Maßnahmen bei einem baufälligen Haus nicht anders erledigt werden können. Dafür waren hier weder dem Ankündigungsschreiben noch den außergerichtlichen Schreiben entsprechende Anhaltspunkte zu entnehmen.
Hinweis: Gerade im Mietverhältnis ist das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme wichtig. Das gilt sowohl für den Mieter als auch für den Vermieter.
Quelle: LG Berlin II, Urt. v. 22.10.2024 - 65 S 139/24
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Wer schon einmal das Vergnügen hatte, Parkett zu verlegen, weiß nur zu gut, dass das schöne Ganze aus verflixt vielen einzelnen Teilen besteht. Entsprechend verhält es sich auch bei der Beseitigung von Schäden des edlen Untergrunds. Das Landgericht Lübeck (LG) musste daher in der Frage entscheiden, wie viel eine Wohngebäudeversicherung für einen teilbeschädigten Parkettboden bezahlen muss.
Im Wohnhaus der Klägerin wurde versehentlich eine Hauswasserleitung angebohrt. Deshalb beschädigte austretendes Leitungswasser das Parkett und die Tapete an einigen Stellen in der Wohnung. Die Frau meldete den Schaden bei ihrer Wohngebäudeversicherung. Die übernahm jedoch nur die Kosten für einen Teilaustausch der beschädigten Flächen, da sie den Austausch des gesamten Parketts nicht für notwendig hielt. Deshalb klagte die Frau. Sie meinte, nur durch den kompletten Austausch könne ein einheitliches Erscheinungsbild des Parketts und der Tapete wiederhergestellt werden.
Das sahen die Richter des LG genauso - zumindest beim Parkett. Denn klar war: Eine Reparatur ohne Austausch war wegen der Feuchtigkeitsschäden nicht möglich. Dabei käme ein Teilaustausch jedoch nicht in Betracht, da die entsprechende Parkettsorte gar nicht mehr erhältlich war. Mit unterschiedlichen Parkettsorten seien hingegen nicht hinnehmbare optische Brüche geblieben. Für einen Komplettaustausch der Tapeten muss die Versicherung jedoch nicht aufkommen. Hier sei lediglich ein optischer Bruch zwischen Wohn- und Essbereich zu erwarten - und dieser sei wegen der Trennung der Räume als durchaus akzeptabel anzusehen.
Hinweis: Egal, um welchen Schaden es in einer Wohnung geht: Das Sichern der Beweise ist ganz wichtig. Der erste Schritt ist es, Fotos anzufertigen.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 05.06.2024 - 4 O 345/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Schon Schiller wusste, dass der Frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Und so beschäftigt sich das Mietrecht nicht nur mit Zwistigkeiten zwischen Mietern und Vermietern, sondern auch mit Nachbarschaftsstreitereien, wie in diesem Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG).
Hier ging es nämlich um Wohnungseigentümer und deren Benutzung von Gemeinschaftsflächen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft bestand zwar aus lediglich zwei Parteien - das war aber nachweislich schon genug für einen gerichtlichen Streit. Ihr Gemeinschaftseigentum umfasste einen Garten, in dem sich sowohl ein Strandkorb als auch eine Wäschespinne befanden. Die eine Eigentümerin verlangte nun die Unterlassung des Aufstellens dieser beiden Elemente, da sie der Meinung war, darin eine optische Beeinträchtigung zu sehen.
Und siehe da: Das AG entschied zugunsten der Klägerin. Ihr stehe nämlich nach § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch, § 14 Abs. 2 Nr. 1 Wohnungseigentumsgesetz ein entsprechender Anspruch auf Unterlassung zu. Beim abgestellten Strandkorb und der aufgestellten Wäschespinne handelte es sich in diesem Sinne um eine tatsächlich nicht hinzunehmende optische Beeinträchtigung. Eine derartige Nutzung des Gemeinschaftseigentums sei damit unzulässig. Zudem sei es unerheblich, ob die Klägerin in der Vergangenheit selbst eine Wäschespinne im Garten genutzt habe. Denn auch dies wäre unzulässig gewesen und hätte auch von der Beklagten unterbunden werden können.
Hinweis: In der Wohnungseigentumsanlage kann es immer wieder zu Konflikten kommen. Oftmals kann hier auch ein Mediator helfen, den Konflikt beizulegen. Viele Anwälte sind auch als Mediator ausgebildet.
Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 18.04.2024 - 514 C 112/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Spätestens während der Corona-Pandemie erwies sich die moderne Informationstechnologie als Fluch und Segen zugleich - und zwar für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen. Doch nach wie vor bringt ihre Anwendung Rechtsstreitigkeiten mit sich. Das Amtsgericht Berlin-Mitte (AG) musste sich mit Hard- und Softwarefragen bei Versammlungen der Wohnungseigentümergemeinschaft beschäftigen, die künftig auch online ablaufen sollten.
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft fällte den Beschluss, dass es für die Folgeversammlung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) gestattet sein soll, online an der Versammlung teilzunehmen. Dabei wurde bestimmt, dass das elektronische Kommunikationssystem seitens der Hausverwaltung in Absprache mit dem Verwaltungsbeirat festgelegt werden solle. Gegen diesen Beschluss zog eine Eigentümerin vor Gericht, da sie der Ansicht war, die Wohnungseigentümer hätten eine Entscheidung über die Modalitäten der Teilnahme treffen müssen - insbesondere zur Wahl des elektronischen Kommunikationssystems oder zu Vorgaben zu den technischen Anforderungen an Hard- und Software.
Das AG wies die Klage jedoch ab. Weder die inhaltliche Ausgestaltung des Beschlusses noch die fehlenden Erläuterungen zu Hard- und Softwareausstattung begründeten eine Nichtigkeit. Es ist durchaus möglich, diese Entscheidungen der Verwaltung in Absprache mit dem Beirat zu überlassen. Der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG sieht nämlich lediglich vor, dass eine Entscheidung über die grundsätzliche Gestattung und die wahrzunehmenden Eigentümerrechte zu treffen ist.
Hinweis: In § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG heißt es wörtlich: "Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass Wohnungseigentümer an der Versammlung auch ohne Anwesenheit vor Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können." In der Praxis werden solche Onlineversammlungen derzeit noch selten durchgeführt. Das wird sich in absehbarer Zeit sicherlich ändern.
Quelle: AG Berlin-Mitte, Urt. v. 02.05.2024 - 22 C 50/23 WEG
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Zum Thema Verkehrsrecht
- Abstrakte Verwechslungsgefahr: Selbstgefertigte Tempo-30-Schilder im Eilverfahren für unzulässig erklärt
- Fingiert oder nicht? Versicherung muss mutmaßliche Vortäuschung eines Unfalls beweisen können
- Messverfahren durch Verfolgung: Grundlagen der Geschwindigkeitsmessung müssen dem Urteil zu entnehmen sein
- Nachweispflicht: Ein totes Reh vor der Motorhaube macht noch lange keinen Wildunfall
- Sturz im Bus: Vernachlässigung der Eigensicherung kostet den Schmerzensgeldanspruch
Auf Wut mit "Dann mal dir doch ein Schild!" zu reagieren, mag auf Kundgebungen helfen - im Alltag ist von dieser Problemlösung jedoch abzuraten. Denn dass für Beschilderungen im öffentlichen Raum Eigeninitiative weniger gefragt ist, sollte klar sein. Zu viel spricht dagegen - so auch das Verwaltungsgericht Freiburg (VG), das im Eilverfahren entscheiden musste.
Anwohner einer innerörtlichen Straße mit der geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h hatten selbstgebastelte Tempo-30-Schilder aufgestellt. Die runden Schilder zeigten die 30 in rot-grüner Umrandung, fünf laufende Kinder als Schattenbilder und das Wort "freiwillig". Das Landratsamt forderte die Betroffenen auf, die Schilder wegen Verwechslungsgefahr zu entfernen. Gegen den Bescheid klagten die Betroffenen im Eilverfahren.
Erwartungsgemäß entschied das VG, dass die Schilder zu entfernen seien. Die Gestaltung ermögliche es nicht, auf den ersten Blick zu erkennen, dass es sich um private Schilder handele. Die runde Form, die Größe und die Verwendung der Farbe Rot legten eine Verwechslung nahe - insbesondere bei fremdsprachigen Fahrern, die das Wort freiwillig unter Umständen nicht kennen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die automatischen Fahrerassistenzsysteme von Fahrzeugen des Landratsamts nach Erfassung des Schilds durchaus Tempo 30 anzeigten, was wiederum die Gefahr berge, dass dadurch unterschiedliche Tempi gefahren werden würden. Und dies stelle eben ein Sicherheitsrisiko dar, das den Verkehrsfluss beeinträchtige.
Hinweis: Es handelt sich um eine Entscheidung im Eilverfahren, eine Hauptsacheentscheidung steht noch aus. Ob eine Verwechslungsgefahr vorliegt, beurteilt sich nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nach dem Gesamtbild des Schilds, wie es sich einem flüchtigen Betrachter darstellt. Für die Möglichkeit der Verwechslung besteht eine erforderliche, aber auch genügende abstrakte Gefahr, die hier angenommen wurde.
Quelle: VG Freiburg, Beschl. v. 08.08.2024 - 6 K 2026/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Der eine sagt so, der andere sagt so - das ist auch bei der Untersuchung eines Unfalls Alltag. Schließlich muss den Beteiligten unterstellt werden, nicht täglich mit derart ungewöhnlichen Umständen konfrontiert zu werden. Das sah ein Versicherer aber anders, weshalb die Beteiligten eines Verkehrsunfalls vor dem Landgericht Lübeck (LG) landeten.
Der Sohn des Klägers hatte im Haus seiner Eltern eine Party veranstaltet, bei der auch die Freundin des Beklagten zu Gast war. Eben dieser Beklagte wollte sie mit dem (bei der ebenfalls mitverklagten Haftpflichtversicherung) versicherten Auto abholen. Sie wartete gemeinsam mit einer weiteren Zeugin an der Haustür, während der Beklagte das Auto holte. Er fuhr rückwärts vor das Haus und kollidierte dabei mit dem geparkten Fahrzeug des Klägers. Der Kläger hat die mitverklagte Haftpflichtversicherung daraufhin vergeblich zum Schadensersatz aufgefordert. Die Versicherung meinte nämlich, der Beklagte sei in Absprache mit dem Gastgeber absichtlich gegen dessen Auto gefahren, um die Versicherungssumme zu kassieren.
Das LG entschied nun, dass die Versicherung die Schäden ersetzen muss. Meint die Haftpflichtversicherung, der Unfall sei abgesprochen gewesen, muss sie beweisen, dass der Geschädigte mit der Beschädigung einverstanden gewesen sei. Derartiges konnte die Versicherung hier jedoch nicht beweisen. Im Streitfall wurden der Fahrer und weitere Partygäste zu dem Vorfall befragt und ein technischer Sachverständiger hinzugezogen. Daraus hat sich nach dem Gericht ergeben, dass der Fahrer aus Versehen gegen das Auto des Klägers gefahren sei und es keine Verabredung zu einem fingierten Unfall gegeben habe. Das Gericht wies dabei auch darauf hin, dass teilweise widersprüchliche Unfalldarstellungen nicht unbedingt für eine erfolgte Absprache sprechen.
Hinweis: Bei Verdacht auf ein fingiertes Unfallereignis kann der vom Kfz-Haftpflichtversicherer zu erbringende Nachweis im Rahmen des sogenannten Indizienbeweises geführt werden. Dieser Beweis ist bereits dann geführt, wenn sich eine Häufung von Umständen und Beweiszeichen findet, die in der Gesamtschau nach richterlicher Überzeugung darauf hindeutet. Typische Beweisanzeichen können sich aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, persönlichen Beziehungen oder den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien ergeben.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 26.09.2024 - 3 O 193/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Messdaten sind nur dann objektiv, wenn ihnen exakt definierte Eckpunkte zugrunde liegen, anhand derer die Ergebnisse bewertet werden können. Dies veranlasste kürzlich das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG), einen Fall an das Amtsgericht (AG) zurückzuverweisen, dessen Urteil die erforderlichen Messdetails zu einer Geschwindigkeitsübertretung nicht zu entnehmen waren.
Das AG verurteilte einen Autofahrer wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 53 km/h sowie um 46 km/h zu einer Geldbuße von 640 EUR und einem einmonatigen Fahrverbot. Dagegen legte der Mann Rechtsbeschwerde ein und berief sich darauf, dass weder die nachgefahrene Strecke noch ein angemessener Toleranzabzug nachgewiesen seien.
Das OLG gab dem Mann recht. Zwar sei die Messung mit dem Messgerät (ProVida 2000/Vidista) ein standardisiertes Messverfahren. Aus dem amtsgerichtlichen Urteil müsse sich aber ergeben, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsmessung beruhe. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messung durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug heraus erfolgte, wie lang die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Fahrzeug des Betroffenen waren, und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden sei. Diesen Anforderungen genügte das angefochtene Urteil nicht. Es enthielt weder Feststellungen zum Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Auto des Betroffenen noch einen bei der Geschwindigkeitsmessung berücksichtigten Toleranzabzug. Die Sache wurde durch das OLG daher an das AG zurückverweisen.
Hinweis: Ein Geschwindigkeitsverstoß kann durch Nachfahren nur bewiesen werden, wenn die Messstrecke ausreichend lang ist, ein gleichbleibender nicht zu großer Abstand zwischen Messfahrzeug und gemessenem Fahrzeug besteht, der Tachometer möglichst justiert/geeicht ist und die abgelesene Geschwindigkeit auf dem Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs die zulässige Höchstgeschwindigkeit so erheblich übersteigt, dass trotz Fehlerquellen und Ungenauigkeiten des Messverfahrens der Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung mit Sicherheit gerechtfertigt ist.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 15.07.2024 - 1 ORbs 144/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Autofahrer müssen nach einem Wildunfall für Ansprüche gegen die Kaskoversicherung den Nachweis führen, dass das Wildtier für die Schäden ursächlich war. Das Amtsgericht München (AG) hatte eine derartige Klage gegen einen Kfz-Versicherer zu bewerten. Und siehe da: Obwohl ein Reh beim verunfallten Pkw lag, konnte das Sachverständigengutachten den behaupteten Unfallhergang nicht bestätigen. Das hatte seine Gründe.
Der Kläger machte gegen eine Versicherung nach einem behaupteten Wildunfall aus einem Kaskoversicherungsvertrag eine Entschädigung von 2.730 EUR sowie Abschleppkosten von 223,23 EUR geltend. Der Kläger trug vor, er sei im März 2021 gegen 21:30 Uhr auf einer abschüssigen, ländlichen Straße in Nordrhein-Westfalen gefahren. In einem Kurvenbereich sei ihm plötzlich ein Reh auf die Motorhaube gesprungen, weshalb er nichts mehr gesehen und die Kontrolle über das Fahrzeug verloren habe. Er sei zweimal gegen die rechte Leitplanke gestoßen. Nach dem Stillstand sei das Reh schließlich von der Motorhaube gerutscht. Der Kläger habe nach dem Unfall die Polizei verständigt, bei deren Ankunft das tote Reh noch an besagter Stelle lag. An dem Pkw sei ein wirtschaftlicher Totalschaden entstanden. Die Versicherung verweigerte jedoch eine Regulierung des Schadens mit der Begründung, dass sich mit Ausnahme des toten Rehs keine Anzeichen für einen Wildunfall finden ließen.
Das AG hat die Klage tatsächlich abgewiesen, da es nach Durchführung der Beweisaufnahme den Nachweis, dass das Reh für den Unfall ursächlich war, als nicht geführt ansah. Das unfallanalytische Sachverständigengutachten konnte zwar einzelne Schäden dem Kontakt mit einer Leitplanke vor Ort zurechnen - nicht jedoch alle insoweit maßgeblichen Beschädigungen an dem Fahrzeug. Anknüpfungspunkte, dass es zu einer Anstoßsituation mit einem Reh gekommen ist, hatten sich aus technischer Sicht nicht ergeben. Der Kläger konnte keinen Zeugen vorweisen, der den Unfallhergang beobachtet hatte, habe auch keine Fotos am Unfallort gefertigt oder von den Polizeibeamten fertigen lassen. Außerdem hatte er das Fahrzeug verkauft, das anschließend verschrottet wurde. Insofern hatte er vereitelt, dass ein Gerichtssachverständiger weitere Überprüfungen vornehmen konnte. Nachdem der Kläger Ansprüche gegen seine Versicherung geltend machen wollte, hätte es ihm oblegen, entsprechende Beweise zu sichern. Der Kläger hatte nach eigenen Angaben innerhalb von zwei bis drei Jahren stolze zehn Wildunfälle gehabt und Ansprüche gegenüber unterschiedlichen Versicherungen geltend gemacht, da er die Versicherungen gewechselt hatte. Die Aussagen des Klägers waren in Anbetracht der oben geschilderten Ausführungen nicht ausreichend, um nachzuweisen, dass der geltend gemachte Schaden darauf zurückzuführen sei, dass ein Reh auf seiner Motorhaube zum Liegen kam und er zweimal ohne sein eigenes Verschulden eine Leitplanke berührt habe.
Hinweis: Der Versicherungsnehmer hat den Vollbeweis dafür, dass ein Zusammenstoß mit einem Tier erfolgt ist, zu erbringen. Er muss also beweisen, dass es zu einem Zusammenstoß zwischen dem in Fahrt befindlichen versicherten Fahrzeug und einem Tier gekommen ist. Er muss auch darlegen und beweisen, dass bei diesem Zusammenstoß diejenigen Schäden entstanden sind, für die er die Versicherungsleistung geltend macht.
Quelle: AG München, Urt. v. 22.08.2024 - 123 C 13553/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Wer sich im öffentlichen Raum bewegt, sollte immer ein Auge auf seine Umgebung und eines auf das eigene Verhalten gerichtet haben. Da man das Verhalten Fremder nämlich nicht erahnen kann, legen Gerichte darauf Wert, dass man stets für ein Mindestmaß an Eigensicherung sorgt, um Kollisionen sämtlicher Art zu umgehen. So ist das Urteil des Amtsgerichts München (AG) einem im Bus gestürzten Fahrgast gegenüber nur folgerichtig.
Der 76-Jährige fuhr in einem Linienbus und hielt sich mit einer Hand an der Haltestange fest, während die andere Hand auf seinem Trolley lag. Als der Bus auf der Rechtsabbiegespur auf eine rote Ampel zufuhr, wechselte ein Pkw kurz vor ihm auf dieselbe Abbiegespur, woraufhin der Busfahrer eine Vollbremsung durchführte. Der Fahrgast verlor das Gleichgewicht, konnte sich nicht halten und stürzte. Dabei verletzte er sich und forderte von der Haftpflichtversicherung des Autofahrers Schmerzensgeld. Diese lehnte ab und war der Ansicht, dass der Geschädigte den Schaden selbst verschuldet hatte, weil er sich nicht ordentlich festgehalten habe.
Das AG gab der Versicherung recht. Das Gericht ging zwar davon aus, dass die Fahrweise des Autofahrers zum Sturz des Mannes beigetragen habe und dass die Straßenverkehrs-Ordnung ihm für den Spurwechsel ein Höchstmaß an Sorgfaltspflicht auferlege, gegen die er verstoßen habe. Ein Fahrgast sei jedoch stets verpflichtet, sich im Linienbus einen festen Halt zu verschaffen. Die von dem Mann eingenommene stehende Position war nicht geeignet, um bei einer Bremssituation gesichert zu sein. Im vorliegenden Fall waren sowohl Sitzplätze frei als auch die Haltestange mit beiden Händen greifbar gewesen. Es ist zudem im Stadtverkehr mit plötzlichen Bremsmanövern zu rechnen. Dabei ist die Sicherung mit nur einer Hand ungeeignet, ruckartige Bewegungen auszugleichen. Das Ablegen der anderen Hand auf dem Trolley war eher eine zusätzliche Gefährdung als eine Sicherung. Das Verschulden des Fahrgasts ist daher als so hoch anzusetzen, dass die Versicherung des Pkw-Fahrers nicht hafte.
Hinweis: Der Fahrer eines Linienbusses darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Fahrgäste entsprechend ihrer Verpflichtung aus § 14 Abs. 3 Nr. 4 Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr selbst dafür sorgen, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen. Dem Fahrgast eines Linienbusses obliegt es daher, für seine Sicherheit selbst zu sorgen, einen Sitzplatz - soweit dies möglich ist - einzunehmen und sich ausreichend Halt zu verschaffen. Jeder Fahrgast ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen eines Fahrzeugs nicht zu Fall kommt. Kommt es bei einem stehenden Fahrgast zu einem Sturz - etwa im Rahmen eines Anfahr- oder Abbremsvorgangs des Busses -, trifft ihn regelmäßig die Alleinhaftung für das Sturzgeschehen. Gegen ihn spreche dann bereits der Beweis des ersten Anscheins.
Quelle: AG München, Urt. v. 18.10.2024 - 338 C 15281/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Zum Thema Sonstiges
- Flugverspätung: Fluggesellschaft muss ausreichend Ersatzflüge anbieten, um Zahlungsansprüche auszuräumen
- Keine Pflichtwahl: Frage um Ausschussvorsitz von AfD-Nachrückern in Landschaftsversammlung Rheinland geklärt
- Schlägerei beim Sportverein: Konzertveranstalter haften nicht automatisch für Folgen durch hinzugezogene Sicherheitskräfte
- Unklarer "Kündigungsbutton": Eine Kündigung zu beabsichtigen bedeutet nicht, auch wirklich zu kündigen
- Vertragliche Grundlage: Die Kündigung des Girokontos auch durch Genossenschaftsbanken jederzeit möglich
Hat ein Flug Verspätung, steht dem Fluggast häufig eine Entschädigungszahlung zu. Doch darf die Fluggesellschaft stattdessen auch eine Ersatzbeförderung anbieten? Und wenn ja, wie muss diese aussehen? Die Antworten kommen vom Bundesgerichtshof (BGH), der hierfür die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zurate zog.
Ein Fluggast verfügte über eine bestätigte Buchung für einen Flug, der planmäßig am 29.07.2019 um 18:55 Uhr (Ortszeit) in Berlin-Tegel starten und um 20:10 Uhr in Düsseldorf landen sollte. Die Fluggesellschaft annullierte sowohl diesen als auch den im Anschluss vorgesehenen und vom selben Flugzeug durchzuführenden (Rück-)Flug. Sie bot dem Fluggast über den Login-Bereich ihrer Homepage mehrere Flüge ihres Unternehmens als Ersatzbeförderung an, von denen einer noch am selben Tag und die übrigen an den Folgetagen vorgesehen waren. Der Fluggast entschied sich für jedoch für eine Fahrt mit der Bahn und verlangte eine Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung.
Der BGH gab dem Fluggast Recht. Nach der Rechtsprechung des EuGH müsse das Luftfahrtunternehmen alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um zu vermeiden, dass es durch außergewöhnliche Umstände genötigt ist, einen Flug zu annullieren. Gleiches gilt, wenn der Flug nur mit einer großen Verspätung durchgeführt werden kann, deren Folgen für den Fluggast einer Annullierung gleichkommen. Zu den demnach gebotenen Maßnahmen gehöre es, dem Fluggast eine mögliche anderweitige direkte oder indirekte Beförderung mit einem Flug anzubieten, den das betroffene oder ein anderes Luftfahrtunternehmen durchführt und der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommt. Hier hatte die Fluggesellschaft aber nur eigene wenige Flüge angeboten. Ebendies reichte jedoch nicht aus, so dass der Fluggast eine Entschädigung erhielt.
Hinweis: Ob einem Fluggast eine Ausgleichszahlung für einen verspäteten Flug zusteht, kann ein Rechtsanwalt prüfen. Jeder Fall ist anders und jeder Fall bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit.
Quelle: BGH, Urt. v. 24.09.2024 - X ZR 109/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Wenn einer seinen Sitz aufgibt, dann rückt eben ein anderer nach. So in etwa stellte es sich die AfD-Fraktion in der Landschaftsversammlung Rheinland vor. Ob diese Landschaftsversammlung die Nachbesetzung freigewordener Ausschussvorsitze der AfD-Fraktion durch die zur Wahl gestellten Kandidaten habe ablehnen dürfen, musste das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen final entscheiden.
Nachdem einige Vertreter der AfD-Fraktion aus dem Landschaftsausschuss sowie aus verschiedenen Fachausschüssen der Landschaftsversammlung Rheinland ausgeschieden waren, beantragte die AfD-Fraktion in verschiedenen Sitzungen, Nachfolger für diese Sitze in den Ausschüssen zu wählen. Die Landschaftsversammlung lehnte eine Nachbesetzung mit den von der Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten teilweise ab. Mit ihrer dagegen eingereichten Klage wollte die Fraktion hingegen festgestellt wissen, dass dies rechtswidrig war. Sie meinte, die Landschaftsversammlung sei verpflichtet gewesen, die vorgeschlagenen Kandidaten zu wählen.
Das sah das OVG jedoch anders. Die Landschaftsversammlung Rheinland durfte die Nachbesetzung freigewordener Ausschusssitze der Fraktion durchaus ablehnen. Das Recht der Fraktionen ist darauf beschränkt, dass sie Kandidaten für die Wahl vorschlagen können und dass die freie Wahl ordnungsgemäß - insbesondere frei von Rechtsmissbrauch - durchgeführt werde. Für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Landschaftsversammlung bestünden hier keine Anhaltspunkte. Insbesondere habe sie gegenüber der AfD-Fraktion keine "Blockadehaltung" verfolgt: Schließlich waren bei den in einer Sitzung im März 2023 durchgeführten Einzelwahlen durch die Landschaftsversammlung elf der insgesamt 14 von der Fraktion vorgeschlagenen Personen gewählt worden.
Hinweis: Das OVG hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden.
Quelle: OVG Münster, Urt. v. 11.11.2024 - 15 A 1404/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Selbst kleine körperliche Auseinandersetzungen können zu gravierenden Schädigungen führen. Das zieht dann meistens umfangreiche gerichtliche Verfahren nach sich. Wie mit einem solchen Verfahren mit Schadensersatzforderungen umzugehen ist, und ob der Veranstalter für durch ihn beauftragte Ordner haftet, musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) entscheiden.
Ein Sportverein veranstaltete jährlich am ersten Weihnachtstag in einem Gemeindezentrum ein "Weihnachtsrock"-Konzert und erhielt von der Gemeinde die Auflage, die dortige Sicherheit zu gewährleisten. Es wurde daher ein Ordner beauftragt, der wiederum zwei weitere Sicherheitskräfte rekrutierte. Diese erhielten statt einer Bezahlung Freigetränke und eine Einladung zu einem späteren Helferfest. Dann kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung, deren Einzelheiten im Wesentlichen streitig blieben. Jedenfalls erlitt ein Gast durch eine Schlägerei mit einem Mitglied des Sicherheitspersonals einen Schädelbasisbruch mit Schädelhirntrauma dritten Grades und Hirnblutungen. Die Sicherheitskraft wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Der Täter sowie der Verein wurden sodann verklagt und als Gesamtschuldner zur Zahlung von 91.132 EUR sowie eines angemessenen Schmerzensgeldes verurteilt. Der Verein wehrte sich dagegen mit einer Berufung - und zwar erfolgreich.
Das OLG urteilte, dass der Gewaltexzess des Ordners nicht automatisch dem Konzertveranstalter zugerechnet werden kann. Die Begehung der vorsätzlichen Körperverletzung durch eine von einem örtlichen Verein für eine Konzertveranstaltung beauftragte Sicherheitskraft stand nicht mehr in einem inneren Zusammenhang mit der übertragenen Tätigkeit, weil diese ohne ersichtlichen Grund oder Provokation erfolgt sei und auch ein Außenstehender die Tätigkeit nicht als Teil der übertragenen Aufgabe aufgefasst hätte.
Hinweis: Ob und in welcher Höhe Ansprüche nach tätlichen Angriffen gegen den Schädiger bestehen, kann am besten der Rechtsanwalt des Vertrauens einschätzen.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.10.2024 - 9 U 85/22
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Verbraucher müssen eine Kündigung eines im Internet geschlossenen Vertrags abgeben können - und zwar stets auf einfache Art und Weise. Wie das genau auszusehen hat, hat das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) im folgenden Fall geklärt.
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände beanstandete gerichtlich das Fehlen eines Kündigungsbuttons auf der Website eines Portals, das Verbrauchern den Abschluss von Strom- und Gasverträgen anbot. Ein solcher Button müsse auf der Bestätigungsseite zu finden sein, mit der der Verbraucher die Kündigungserklärung abgeben könne. Diese Bestätigungsschaltfläche müsse mit den Worten "jetzt kündigen" oder einer anderen entsprechend eindeutigen Formulierung beschriftet sein. Die verwendete Formulierung "Kündigungsabsicht abschicken" lasse die von § 312k Bürgerliches Gesetzbuch geforderte Deutlichkeit vermissen.
Das OLG hat der Klage stattgegeben. Eine Bestätigungsschaltfläche "Kündigungsabsicht abschicken" ist nicht ebenso eindeutig wie "jetzt kündigen". Jedenfalls kann bei der Formulierung "Kündigungsabsicht abschicken" und dabei vor allem dem gewählten Wort "Kündigungsabsicht" der Eindruck entstehen, dass noch keine endgültige Kündigungserklärung damit verbunden ist. Damit genügte diese Formulierung nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Hinweis: Es wird deutlich, dass die Gerichte den Gesetzestext auch eindeutig umgesetzt haben wollen. Denn andernfalls ist nicht sichergestellt, dass Verbraucher auch tatsächlich eine Kündigungserklärung abgeben können.
Quelle: OLG Hamburg, Urt. v. 26.09.2024 - 5 UKI 1/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 01/2025)
Genossenschaftsbanken wie beispielsweise die Volksbanken haben Mitglieder statt Kunden - und zwar ihre Genossen. Daher ist die Eröffnung eines Kontos ohne eine Mitgliedschaft auch nicht möglich. Ob eine solche Bank einem Genossen dessen Konto einfach kündigen darf, musste der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.
Ein Mann hatte ein Girokonto, ein Kreditkartenkonto und ein Wertpapierdepot bei einer Genossenschaftsbank und war somit auch Mitglied bei dem Kreditinstitut. Nach Allgemeinen Geschäftsbedingungen war die Bank berechtigt, jederzeit unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist die Konten zu kündigen. Genau das tat die Bank dann auch - zum Missfallen des Kunden. Dieser zog vor Gericht und beantragte, festzustellen, dass die Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien weiterhin fortbestehe. Er meinte, weil er Mitglied der Genossenschaft sei, wäre eine Kündigung nicht möglich.
Die Klage wurde vor dem BGH allerdings abgewiesen. Wenn der Geschäftsverkehr der Mitglieder mit ihrer Genossenschaft auf vertraglicher Grundlage beruhe, spiele er sich außerhalb des Mitgliedschaftsverhältnisses ab, so dass rein schuldrechtliche Beziehungen entstehen und das Mitglied der Genossenschaft insoweit wie ein außenstehender Dritter gegenübertritt. Deshalb konnte die Bank die Geschäftsbeziehung kündigen.
Hinweis: Es ist also für eine Genossenschaftsbank möglich, einen Girovertrag eines Mitglieds ohne Angabe von Gründen zu kündigen.
Quelle: BGH, Urt. v. 15.10.2024 - XI ZR 50/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 01/2025)